Die Einbeziehung therapieerfahrener Patienten in die Behandlung anderer Patienten basiert auf Ideen der 1980er Jahre in Großbritannien und den Niederlanden. Auch Norwegen blickt auf eine längere Tradition dieses Ansatzes zurück, wenn auch nicht auf psychiatrischem Gebiet, sondern auf dem der körperlicher Behinderungen. Hier ist häufig auch die Rede von "Peer Support" bzw. "Peer Counseling". Der englische Begriff bedeutet übersetzt so viel wie "die Unterstützung durch gleichrangige Menschen".
Am häufigsten hört man heute die Bezeichnung EX-IN. Diese steht als Abkürzung für den englischen Begriff "Experienced Involvement" und bedeutet übersetzt "die Beteiligung Erfahrener". Das Konzept steht für eine Person, die in der Rolle eines Patienten selbst in psychiatrischer Behandlung war, nun jedoch ihrerseits anderen Psychiatrie-Patienten zu helfen versucht. Richtig umgesetzt ist EX-IN für Psychiatrie-Erfahrene ein innovativer Beitrag zur beruflichen und sozialen Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. (...)
Im Mittelpunkt der EX-IN-Ausbildung steht die Entwicklung von Erfahrungswissen. Hierzu ist es wichtig, dass jeder Einzelne seine Erfahrungen reflektiert und strukturiert, so dass aus Erfahrung Wissen wird. Dies vollzieht sich auf den Ebenen Ich-Du-Wir.
Ich-Wissen bedeutet, dass die TeilnehmerInnen Bewusstsein darüber entwickeln, wie sie sich ihre seelische Erschütterung erklären, wie sie diese in ihre Lebensgeschichte einordnen, welchen Sinn sie darin erkennen und welche Bedingungen und Strategien dabei helfen, Anforderungen und Krisen zu bewältigen.
Auf der Du-Ebene wird das eigene Erfahrungswissen einem Gegenüber mitgeteilt. Dabei bekommt man reflektiert, ob man sich mit seiner Erfahrung mitteilen kann, was für das Gegenüber verstehbar ist und was nicht.
Wir-Wissen bedeutet zunächst, dass Menschen gemeinsame Erfahrungen entdecken. Aber es geht beim Wir-Wissen nicht nur um das gemeinsam Erfahrene, sondern auch um das gemeinsam Verstandene. Das bedeutet, auch Phänomene, die ich nicht selbst erlebt habe, kann ich durch einen intensiven Austausch verstehen lernen, durchdringen und erkennen. Und schließlich bedeutet Wir-Wissenauch eine Verständigung darüber, was nicht verstanden wird. (...)
In der Praxis stellen GenesungsbegleiterInnen Verbindungen zwischen KlientInnen und MitarbeiterInnen her, sie werden zu DolmetscherInnen zwischen zwei "Kulturen". Aufgrund des eigenen Erfahrungshintergrundes werden die EX-INler oft als vertrauenserweckend erlebt. Auf dieser Basis können GenesungsbegleiterInnen und Betroffene über Erlebnisse statt über Symptome reden.
Es ist eher möglich, eine gemeinsame Sprache zu finden und eine von Akzeptanz, Verständnis und Empathie getragene Beziehung einzugehen. Der Experte durch Erfahrung kann authentisch das Gefühl von Hoffnung und den Glauben an Weiterentwicklung vermitteln. Er kann aus eigener Erfahrung die Interessen des Gegenübers sensibler wahrnehmen und dabei unterstützen, Verantwortung zu übernehmen und die eigenen Interessen selbst zu vertreten. (...)
Letzte Aktualisierung: 10.04.2024