Diese Reise durch die eigene innere Landschaft braucht Zeit, unter Umständen viel Zeit. Es ist eine Reise, die Lesende in einer Kutsche mit vielen Zwischenstopps zurücklegen sollten, am besten machen sie diese zu Fuß. Für eine Fahrt mit dem ICE ist sie nicht geeignet.
Die Autorin, Diplom-Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin Maren Lammers begleitet den Leser in fünf Reiseetappen (Kapiteln) durch seine innere Landschaft. Dabei ist schon dieser Weg das erste Ziel. Denn man bleibt nicht passiv auf dieser Reise, sondern erhält die Aufforderung, selbst tätig zu werden: zu beobachten, zu sondieren, zu analysieren und die Puzzleteile der Erkenntnisse dann interpretierend zusammenzusetzen. Diese Arbeit leitet die Autorin durch einen gezielten, sehr achtsamen Fragenaufbau sowie durch wissenschaftliche Informationen, die sie durch viele Beispiele aus ihrer Praxis ergänzt. So erhalten sich selbst Erforschende die notwendige Hilfestellung, die ihnen im Laufe der Zeit die genauere »Kartierung ihrer inneren Landschaft« ermöglicht.
Die fünf Etappen dieser Reise ins eigene Ich beginnen mit einer Bestandsaufnahme aktueller Herausforderungen (Kapitel I), führen über die Kindheit (Kapitel II) zu den Beziehungen in der eigenen Familie, zu Eltern, Geschwistern, Großeltern (Kapitel III), hinterfragen die Auswirkungen der Kindheitsprägungen (Kapitel IV), führen zurück in die Gegenwart und geben Rüstzeug an die Hand, die eigenen Lebensziele zu intensivieren, zu differenzieren oder zu modifizieren (Kapitel V).
Diese schrittweise Erforschung des Selbst lässt sich nicht schnell erledigen, ist eben keine Reise mit dem ICE. Es gibt Fragen, die sogleich zu beantworten sind, bei anderen braucht es intensives Nachdenken und Nachhaken, bis sich Erinnerungen einstellen. Einige wecken Erfreuliches, andere wirken unter Umständen verstörend oder holen alte Verletzungen an die Oberfläche. Einzelne Fragestellungen bleiben auch unbeantwortet und die Lesenden müssen dies aushalten. Aber immer ist die Autorin unaufdringlich unterstützend zur Stelle. Sie weiß um besonders steinige Wegstrecken, versucht, Ängste zu nehmen, indem sie mahnt, vorsichtig mit sich umzugehen oder sich ggf. auch professionelle Hilfe zu holen, wenn man an entscheidenden Punkten nicht weiterkommt. Informationen zu diesen Hilfsmöglichkeiten gibt sie in einem differenzierten Anhang.
So ist das Hauptziel dieses »Reiseführers für mutige Selbstentdecker« am Ende der Reise ein »persönliches Lebensbuch«. Dies soll neue Sichtweisen auf sich und die eigene Umgebung ermöglichen. Es soll befähigen, festgefahrene Strukturen aufzubrechen, sich freier zu fühlen, Respekt vor dem eigenen Weg, aber auch dem anderer Menschen zu empfinden sowie möglicherweise sogar eine psychische Erkrankung zu erkennen und Chancen zu deren Überwindung wahrzunehmen.
Maren Lammers »Reiseführer« empfiehlt sich jedem, der auf der Suche nach sich selbst ist, aber auch Menschen, die durch ihren Beruf oder durch ehrenamtliches Engagement andere auf Wegen der Selbstentwicklung begleiten. Die Autorin arbeitet kompetent, unaufgeregt, unterstützend und macht daher dem Leser ein überzeugendes Angebot, das eigene Ich differenziert zu erfahren, ohne es selbst emotional zu überhöhen.
Gabriele Beek in Psychosoziale Umschau
Letzte Aktualisierung: 12.04.2024