Können Sie es bitte als Geschenk verpacken? »Das ist nicht für mich!« – wenn ich eines in meiner Ausbildung zum Buchhändler gelernt habe, dann diese Ausrede. Sie wurde besonders häufig in Situationen vorgebracht, in denen Kunden sich für ein Buch schämten, dass sie auf den Kassentisch legten. Zum Beispiel als Dieter Bohlen mit »Nichts als die Wahrheit« schonungslos über Prominente im Showbusiness herzog. Ob wir uns ähnlich bei dem Ratgeber »Einsamkeit verstehen« von Nathalie Schnoor verhalten würden? Möglich ist es, aber der Buchhändler des Vertrauens wird es lächelnd in Geschenkpapier einschlagen. Dabei ist Einsamkeit ein immer drängenderes Problem in unserer Gesellschaft und mitnichten ein Grund, sich zu schämen. Im Gegenteil!
Der 2023 im Balance buch + medien verlag erschienene Ratgeber hat in seinem eher unscheinbaren Softcovereinband tatsächlich viel mit jedem von uns zu tun. Er ist überraschend kurzweilig und abwechslungsreich geschrieben. Die Autorin spricht die Leser in der direkten DuForm an und lockert das Thema mit einer Reihe eingestreuter Interviews und manch kurzer Denk und Arbeitseinheit auf. Einen Bleistift bereitzuhalten, macht also durchaus Sinn: Das Werk ist letztlich als Selbsthilfebuch konzipiert und klärt in einem erfrischend klaren Schreibstil auf. Die Autorin hat eine gute Struktur und Ordnung des Themas gewählt und wechselt geschickt zwischen Studienergebnissen, Statistiken und Inhalten, die das Thema wortwörtlich begreifbar machen. Der Leser kann sich gut einlassen und nähert sich schnell an. So ist Einsamkeit »eine überlebenswichtige Fähigkeit, die die evolutionäre Entwicklung überdauert hat – vergleichbar mit anderen Grundbedürfnissen wie Hunger und Durst« (Seite 39).
Es sind nämlich nicht die viel beschworenen Singles in der Großstadt und die älteren, vereinsamten Menschen, um die es hier geht. Diese und andere typische Vorurteile werden aufgegriffen und in einen weiteren sowie tieferen Zusammenhang eingebettet. Der Ratgeber richtet sich an alle Menschen: Ob jung oder alt, ob in festen Partnerschaften oder in Familien lebend, in Beziehungen oder als Single unter Freunden. Sehr häufig fühlen sich Menschen mit Ende zwanzig bzw. Anfang dreißig einsam. Neben der aktuellen Studienlage lockern die eingestreuten Interviewausschnitte den Text auf und lassen Menschen zu Wort kommen, die Einsamkeit in unterschiedlichsten Situationen und Lebensabschnitten erlebt haben. Schnoor verweilt dabei nicht nur bei individuellen Lebenssituationen, sondern zeigt an verschiedenen Beispielen das Bemühen unterschiedlicher Akteure, wie einer Supermarktkette in den Niederlanden, die eine Plauderkasse eingeführt hat, Einsamkeit zu begegnen. Sie schreibt: »Soziale Beziehungen sind elementar wichtig und das muss sich auch in den Gesellschaftsstrukturen widerspiegeln.« (Seite 128)
Der Untertitel »In guter Verbindung mit mir selbst und anderen« lässt vermuten, worauf es mit einem tieferen und weiteren Verständnis ankommen könnte. Diesem widmen sich die letzten siebzig der insgesamt 215 Seiten.
Damit ist das Werk einerseits ein ausgewiesenes Selbsthilfebuch, regt aber andererseits auch professionell tätige Menschen im Sozialbereich dazu an, ein besseres und tieferes Verständnis für Einsamkeit bei sich und anderen zu entwickeln.
Fazit: Empfehlenswert! Es sind gut angelegte 18 Euro zum Stöbern, Informieren oder Verschenken.
Martin Lindheimer in Psychosoziale Umschau
Letzte Aktualisierung: 12.04.2024