Tina Soliman ist Autorin, Journalistin, Regisseurin (»37 Grad«, »Panorama« u. a.) und Fernsehpreisträgerin. Sie widmet sich seit Jahren kommerziell erfolgreich dem Zeitphänomen Kontaktabbruch in Beziehungen, einem bisher unerforschten, aber aktuellen Thema. Es geht um die Leidensgeschichte von Männern und Frauen, die nach erlebten radikalen Kontaktabbrüchen meist als ahnungslos Zurückgelassene in ein tiefes Loch stürzen. (Tina Soliman: »Jemand schweigt, damit der andere hört, was er nicht sagt.«)
»Der Sturm vor der Stille – Warum Menschen den Kontakt abbrechen« ist Tina Solimans zweites Buch zum Thema. 2011 erschien bereits »Funkstille – Wenn Menschen den Kontakt abbrechen«. Die Autorin wurde damit bekannt. Hier verdeutlichte sie anhand von Fallbeispielen die Vielzahl von Motiven, die bei einem Abbruch wirksam sind. Dass Schuld – wenn diese Kategorie überhaupt zum Phänomen der Beziehungsstörung passt – meist beidseitig ist, und erst eine konstruktive Klärung der Verhältnisse Versöhnung und Frieden bringen kann, untermauerte Soliman mit psychologischen Aussagen diverser Fachleute.
Autoren, die ein Thema gefunden haben, das erfolgreich ist und sich gut verkauft, setzen gerne nach. Das tut auch Tina Soliman. Ihr neues Buch zum Thema wiederholt ihr bisher gut funktionierendes Konzept. Zwar will sie die Suche nach den Ursachen vertiefen und weitere Zusammenhänge verdeutlichen, doch dafür köchelt sie ihre typische Mischung aus Fallbeispielen, Hintergrundinfos und theoretischem Hintergrund lediglich auf. Die Autorin fragt u. a., ob der Abbrecher ein »Schläfer« sei. Oder: Gibt es einen bestimmten wiederkehrenden Auslöser? Sie betrachtet vorausgehende Machtkämpfe, fragt, ob jeder Mensch ein Recht auf Funkstille habe, sie analysiert die Gewalt des Schweigens, den »Mord an der Seele«, psychische Unzuverlässigkeit und den Preis der Nähe, die Kontrollillusion und Machtstreben – all dies gestützt durch derzeit bekannte Psychotherapeuten.
Kritisch anzumerken ist dabei, dass Soliman keine Ursachen erklärt, sie beschreibt lediglich Situationen. Und sieht im Loslassen einen Vorteil für beide Akteure. Dabei achtet sie darauf, dass bei ihren 100 Gesprächspartnerinnen und -partnern Prototypen aus diversen Lebensbereichen und Altersklassen vertreten sind. Die vielen Menschen, die ihr Auskunft gaben – deren Gedanken, Kommentare, Überlegungen – bilden das Skelett des Buches. Und über ihre Website sollen Betroffene in Kontakt treten können. Dass auch Psychiatrie-Erfahrene zu den radikal Verlassenen gehören können – ihrem extremen Verhalten in Krisen geschuldet – scheint Tina Soliman nicht bewusst zu sein. Dabei gehören die Beziehungs- bzw. Freundschaftsabbrüche mit psychisch Erkrankten hier dazu (Kontaktabbruch z. B. wegen Krankheit wäre ohnehin ein weiteres, bisher nicht beackertes Thema).
Dass Tina Soliman kein Diplom als Psychologin ihr Eigen nennt, finde ich nicht nachteilig. Eher, dass sie mit ihrem zugewandten jovialen Stil Einfühlen behauptet und peinliche Verbrüderung – Mutter Theresia lässt grüßen. Ein kritischer Leser schreibt im Netz, dass sich Tina Soliman die Deutungshoheit über die Geschichten ihrer Protagonisten einräumt und diese in einer Ansammlung von psychologischen Vermutungen beurteilt oder von »Experten« beurteilen lässt, obwohl letztere »Experten« niemals mit den Probanden Kontakt hatten. An dieser Kritik ist was dran. Dennoch bleibt dieses Abbruch-Wirrwarr aus Repression, Manipulation und Lüge prinzipiell ein spannendes Zeitphänomen, durch das wir Hilfreiches und auch Anregendes erfahren können.
Brigitte Siebrasse in Soziale Psychiatrie
Letzte Aktualisierung: 12.04.2024