Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie
Dachverband Gemeindepsychiatrie
Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen
Psychiatrie Verlag

Herausforderndes Verhalten bei psychischen Störungen - Praxisbuch für Pflege- und Gesundheitsberufe

Um es vorweg zu sagen: Bereits das Autorenteam stellt eine Besonderheit dar. Es besteht aus dem Vater Bo Heilskov Elvén, in Behindertenhilfe und Psychiatrie tätig, zugleich Dozent und Wissenschaftler, und seiner Tochter Sophie Abild McFarlane. Auch sie eine Expertin, aber aus eigener Erfahrung, mit herausforderndem Verhalten gut vertraut. Allein diese Besonderheiten des Autorenteams sollte Grund genug sein für Pflegende, Betroffene und Angehörige, mehr als einen raschen Blick in das Praxisbuch zu werfen.

Und eine zweite Besonderheit zeichnet sich ab: Der zentrale, verbindende Schlüssel ist die erfahrene Machtlosigkeit, denen beide Seiten immer wieder unterworfen sind. Ein Fachbuch, welches wie hier auf beruflicher und familiärer Betroffenheit beruht, dürfte also wahrhaft neu sein.

Das Buch gliedert sich im Teil I »Prinzipien« in elf Kapitel auf. Dazu gehören »Verantwortungsübernahme«, »Misserfolge und Lernen«, »Beherrschung nicht verlieren«, »Konfliktlösungen und Handlungsplan« »Alltagsanforderungen« und »Zuerkannte Autorität«. In Teil II stehen Fallstudien und Handlungspläne im Vordergrund, in denen zahlreiche Beispiele vor allem von der Expertin aus Erfahrung zu finden sind. Teil III besteht aus Arbeitsmaterialien zu I und II. Allem voran erläutert Herausgeber Christoph Müller den Hintergrund des Buches. Bereits Teil I liefert mit den zahlreichen Fallbeispielen aus der Praxis hervorragende Diskussionsgrundlagen für Stationsteams – am besten zusammen mit Genesungsbegleitern. Die Handlungspläne aus Teil II stellen dar, was man tun kann, bevor es zum Konflikt kommt: ganz simpel zum Patienten Kontakt aufzunehmen, bevor dieser es tut.

Die Stärken des Buches bestehen aus den zahlreichen Fallbeispielen, der klaren Sprache und den stets empathischen Grundannahmen menschlichen Verhaltens, wie »Konflikte zugleich als Lösungsversuche zu sehen«, »Regeln, die keinen Sinn ergeben, infrage zu stellen« oder das Prinzip, dass »Menschen sich gut verhalten, wenn sie dazu in der Lage sind«.

Trotz des dialogisch-trialogischen Ansatzes gibt es aber ein paar Punkte, die aus Sicht des Rezensenten das Interesse und die Qualität erhöhen könnten: Nicht immer spürt man, dass hier zwei Perspektiven gemeinsam auftreten. Eine stärkere Betonung der dialogischen oder gar trialogischen Sichtweise (also auch des Wissenschaftlers als Vater) wäre durchaus wünschbar und machbar gewesen. Ab und zu mag man dem Text auch widersprechen, wenn geschrieben wird, dass Diagnosen bei handgreiflichem Verhalten keine Rolle spielen.

Ihr Einfluss mag nicht dominant sein, es gibt ihn aber. Und die den jeweiligen Abschnitten angefügte weiterführende Literatur verweist durchgehend auf internationale Veröffentlichungen. Hier wäre eine Ergänzung mit deutscher Fachliteratur – die durchaus vorhanden ist – sinnvoll gewesen. Daher ist es genau richtig, wenn Herausgeber Christoph Müller zum Abschluss einen gründlichen Bezug zur DGPPN S3-Leitlinie »Verhinderung von Zwang« herstellt. Insgesamt tut sich eine erfrischend neue Perspektive auf. Das Versprechen, ein Praxisbuch für Pflege- und Gesundheitsberufe zu sein, wird eingehalten. Ein Buch nicht nur zum Lesen, sondern auch zum Arbeiten.

Christian Zechert in Psychosoziale Umschau

Letzte Aktualisierung: 12.04.2024