Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie
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Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen
Psychiatrie Verlag

Grundlagen psychiatrischer Pflege

Es gibt Fachliteratur, die immer gut greifbar im Regal oder auf dem Schreibtisch liegt. Die Inhalte sind für einen persönlich handlungsleitend gewesen. Manchmal haben die Autorinnen und Autoren einen persönlich geprägt. Mit dem Buch »Grundlagen psychiatrischer Pflege«, das Hilde Schädle-Deininger nun in der dritten Auflage herausgegeben hat, geht es mir so.

Egal, ob ich im Rahmen meiner Tätigkeit als Dozent in der psychiatrischen Pflege über Unterrichts- oder Fortbildungsinhalte nachgedacht habe oder ob ich eine Erfahrung in der pflegerischen Praxis reflektieren wollte – das handliche Buch ist ein ständiger Begleiter gewesen, das seine Aktualität niemals eingebüßt hat.

Schädle-Deininger hat für die dritte Auflage vieles überdacht und überarbeitet. Unter anderem hat sie einen Schwerpunkt auf »pflegerische Ansätze von Prävention und Gesundheitsförderung« gelegt. In diesem Zusammenhang thematisiert sie Begriffe wie Recovery, Resilienz und Empowerment. Gegenüber zahlreichen anderen Autorinnen und Autoren, die sich mit diesen Termini beschäftigen, gelingt es Schädle-Deininger dabei, Konkretes zu liefern; psychiatrisch Pflegende führt sie quasi mit Fragen, die es zu überlegen gilt, an den Punkt, wo im unmittelbaren Setting die Konzepte umgesetzt werden müssen.

Auch in der Neuauflage des Buchs, das erstmals 2008 erschienen ist, schafft es Schädle-Deininger, den eigenen sozialpsychiatrischen Überzeugungen treu und damit pragmatisch zu bleiben. Gleichzeitig trägt sie der Akademisierung der psychiatrischen Pflege Rechnung und dokumentiert den aktuellen Stand der pflegewissenschaftlichen Forschung. Die Lesbarkeit und Verständlichkeit des Buchs leiden darunter nicht.

Den Aspekten Pflegeprozess, Pflegediagnosen und Pflegephänomene räumt sie viel Platz ein. Grundlagen effektiver Kommunikation werden über Modelle Friedemann Schulz von Thuns, der gewaltfreien Kommunikation und auch der motivierenden Gesprächsführung erläutert. Und wer es noch immer nicht verinnerlicht hat, der kann sich der Thematik über die verständlichen Beschreibungen zu Hildegard Peplaus Interaktionsmodellen nähern.

Das Ziel des Buchs sei, dass sich Menschen, die am Anfang ihrer beruflichen Tätigkeit in der psychiatrischen Versorgung stehen, hiermit ein solides Fundament professionellen Verständnisses schaffen. Dies erscheint als Tiefstapelei. Denn selbst für erfahrene psychiatrische Pflege-Praktikerinnen und -Praktiker ist die Lektüre lohnenswert. Nicht nur Novizen bietet Schädle-Deininger mit dem Buch eine Reflexionsmatrix für das alltägliche Handeln.

So liest sich eingängig: »Rezepte für alltägliche Situationen gibt es nicht, da jede Begegnung mit einer psychisch erkrankten Person je individuell gestaltet werden muss. Diese Orientierung am einzelnen Menschen und an der einzelnen Begegnung ist ein zentraler Mosaikstein in der Ausübung des pflegerischen Berufs.« (S. 8)

Schädle-Deininger liegt die Auseinandersetzung mit der Person des anderen am Herzen. Dies legt sie über die mehr als 180 Seiten den Kolleginnen und Kollegen sehr nahe. Aus ihrer Sicht ist es für Menschen mit einer psychischen Erkrankung charakteristisch, »dass sie aufgrund ihrer Störungen Prioritäten anders setzen und Mühe haben, allgemein übliche Normen und Maßstäbe einzuhalten« (S. 18). Pflegende seien aufgefordert, »sich von den eigenen Maßstäben zu distanzieren und gemeinsam mit dem Betroffenen herauszufinden, wie er die Situation bewertet, welche Wünsche er hat und welche Unterstützung er braucht, um das von ihm Angestrebte zu erreichen« (S. 18).

Es ist bei Schädle-Deininger nicht anders zu erwarten, dass sie fernab jeden Paternalismus sehr konkret formuliert, wie Betroffene selbst, aber auch die Helfenden Verantwortung übernehmen müssen, damit eine angeschlagene Seele wieder in Balance kommt. Sie fordert von psychiatrisch Pflegenden ein, ein klares Verständnis der eigenen Arbeit zu entwickeln.

Dazu gehört sicher auch die Bereitschaft, »sich in Entwicklungsprozesse zu begeben und von allen Beteiligten zu lernen, […] Kontakte herzustellen, Beziehungen aufzubauen und zu gestalten« (S. 178). Damit macht Schädle-Deininger klar, dass sich jede und jeder als Mensch in psychiatrisches Pflegen einbringen muss.

Apropos Einbringen: Auf dem Fundament der ständigen Auseinandersetzung mit den »Grundlagen psychiatrischer Pflege« wird es mir persönlich sicher auch gelingen, die eine oder andere Aufgabe im pflegerischen Alltag zu lösen. Noch mehr – auch die neue Auflage der »Grundlagen psychiatrischer Pflege« kann ich künftig in Fortbildungen und Unterrichtseinheiten einbringen. Da bin ich mir sicher.

Christoph Müller in Soziale Psychiatrie

Letzte Aktualisierung: 12.04.2024