Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie
Dachverband Gemeindepsychiatrie
Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen
Psychiatrie Verlag

Psychosoziale Pflege

Psychosoziale Pflege, Problemstellungen und Blickwinkel gehören zu den Kernaufgaben psychiatrischer Pflege, und dies wird in dem vorliegenden Buch in einer praxisnahen Weise aufgezeigt. Die fünf Kapitel widmen sich den »Grundlagen psychosozialer Pflege«, den Themen »Psychosoziale Pflegephänomene im Pflegeprozess« und »Beziehungsarbeit im Pflegeprozess« sowie den Aspekten »Ausgewählte Konzepte der Psychosozialen Pflege« und »Besondere Aspekte der Psychosozialen Pflege«.

Gleich zu Beginn wird festgestellt, dass vielerorts immer noch das Defizitmodell in Form von medizinischen Diagnosen in der Pflege vorherrscht. Die Aussage, dass professionell Pflegende andere Aufgaben als Ärzte und therapeutische Berufe haben, auch wenn sich in manchen Situationen und Settings die Tätigkeiten ergänzen, ist Basis der Verfolgung spezifisch pflegerischer Aufgaben und Blickwinkel im psychosozialen Bereich.

Schoßmaier geht von den österreichischen Rahmenbedingungen der pflegerischen Bildung aus und zeigt aus dieser Sicht auf, dass psychosoziale Betreuungs- und Pflegesituationen in der beruflichen Pflege in den unterschiedlichen Kontexten zu kurz kommen. Das gilt in vielerlei Hinsicht auch für Deutschland und lässt sich teils 1:1 übertragen.

In den ersten Kapiteln werden umfassend pflegerisch-psychiatrische theoretische Ansätze vorgestellt. Hierbei wird der soziale Pflege- und Unterstützungsbedarf erkannt und deutlich gemacht und mit dem Wort »psychosozial« bezeichnet, wobei Schoßmaier betont, dass multifaktorielle Faktoren sowie theoretische Grundlagen psychischen Geschehens auch den bisher ungebräuchlichen Begriff der »psychosozialen Pflegebedürftigkeit« prägen. Dabei wird explizit darauf hingewiesen, dass sich das pflegerische Denken mehr auf pflegespezifische wissenschaftliche Erkenntnisse beziehen muss und sich das Handeln in der Praxis stärker an Phänomenen wie Angst des Patienten usw. ausrichten sollte als an ärztlichen Diagnosen.

Hierauf aufbauend erläutert der Autor auch anhand von Praxisbeispielen pflegerische Instrumente bzw. Hilfsmittel, die zum Grundwissen der Pflege im psychiatrischen/psychosozialen Bereich gehören und immer wieder aktualisiert werden müssen. In diesem Zusammenhang werden unterschiedliche theoretische Konzepte wie z.B. Recovery und das Gezeitenmodell, Förderung von Wohlbefinden, unterschiedliche Trainings, vor allem im lebenspraktischen Bereich, erläutert und als ein wesentlicher Ausgangspunkt professioneller Pflege beschrieben.

Im letzten Kapitel »Besondere Aspekte psychosozialer Pflege« werden von Christoph Müller unterschiedliche Arbeitsbereiche sowie -settings an- und ausgeführt, z.B. ambulante und forensische Psychiatrie sowie »Aufnahme gegen den Willen des Patienten«. Hierbei werden vor allem auch »kritische« Situationen unter dem Blickwinkel ethischer Haltungen und pflegerischer Vorgehensweisen in den Blick genommen und in den Kontext spezifisch-pflegerischen Wissens eingebettet. Es wird betont, dass es im extramuralen Kontext nicht die Aufgabe der psychiatrisch Pflegenden sei, eine paternalistische Sicht auf mögliche und vielleicht auch nötige Veränderungen zu haben und diese durchzusetzen, sondern dass Pflege eher eine Lotsenfunktion habe.

Auch wenn bei näherer Betrachtung viele Inhalte durchaus bekannt sind und bereits gelehrt werden, zeigt das kleine Buch kompakt und logisch aufgebaut die wesentlichen psychosozialen Grundlagen der psychiatrischen Pflege sowie der professionellen Pflege im psychosozialen Bereich und darüber hinaus auf. Dies bietet einen hervorragenden Anlass, berufspolitisch zu überlegen, ob sich die »Psychiatrische Pflege« nicht prinzipiell im deutschsprachigen Raum einheitlich in »Psychosoziale Pflege« umbenennen sollte oder vielleicht auch muss. Damit wäre auch der häufigen Reduzierung auf »Grundpflege« im psychiatrisch-psychosozialen Bereich entgegengewirkt. Außerdem würde die Umbenennung sicher dazu beitragen, dass die professionelle Pflege in der Versorgung psychisch erkrankter Menschen umfassender wahrgenommen würde.

Damit könnte auch verbunden sein, dass Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen in der professionellen Pflegebildung und zentrale Tätigkeitsmerkmale stärker in den Fokus rücken und damit professionelle Pflege ihren ihr angemessenen Stellenwert im psychosozialen Bereich erreicht und ihre berufsspezifischen Möglichkeiten ganz selbstverständlich einbringt.

Das kleine Buch ist eine sehr gute Grundlage für an der Pflege im psychosozialen Bereich Interessierte. Ich wünsche eine rege Diskussion und dieser Veröffentlichung eine breite Leserschaft!

Hilde Schädle-Deininger in Soziale Psychiatrie

Letzte Aktualisierung: 12.04.2024