Gerade zum richtigen Zeitpunkt erscheint das neue Handbuch zum Zuverdienst. Die BAG der Inklusionsfirmen (BAG IF) gibt hier vielfältige Informationen zu Geschichte und bestehenden Zuverdienstangeboten und liefert gleichzeitig einfach handhabbare Praxismaterialien. Das Buch ist Ergebnis und Abschluss des Zuverdienstprojekts der Bundesarbeitsgemeinschaft Inklusionsfirmen (BAG IF), welches über drei Jahre hinweg von der Aktion Mensch und der Freudenberg Stiftung gefördert wurde. Besonders wichtig sind die aktuellen Informationen zu den Auswirkungen und Möglichkeiten des Bundesteilhabegesetzes (BTHG). Dadurch werden einerseits neue Angebotsformen ermöglicht, andererseits aber auch bestehende Zuverdienstprojekte infrage gestellt.
Verena Bentele, Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, schreibt im Vorwort: »Die Zuverdienstbeschäftigung als Teilhabe am Arbeitsleben ist nicht nur ein wichtiger Aspekt für die Gesundung (…), sondern steht auch für gelebte Inklusion.« Sie beklagt zu Recht: »Zuverdienstangebote sind trotz all dieser positiven Erkenntnisse noch nicht als regelhaftes Teilhabeangebot im Sozialrecht verankert. Die vorhandenen Angebote sind begrenzt und bundesweit sehr unterschiedlich ausgestaltet.«
Christian Gredig, seit über zehn Jahren intensiv mit dem Thema Zuverdienst befasst, führt in die komplexe Materie ein. Er beschreibt die Zielgruppen – insbesondere Menschen im Bezug der Grundsicherung oder mit Erwerbsminderungsrente – und die Ziele der Zuverdienstbeschäftigung. Dabei wird deutlich, dass Zuverdienst eine sehr handfeste Realisierung des Prinzips »erst platzieren – dann rehabilitieren« darstellt, aber nur punktuell genutzt wird. So hat Bayern aufgrund landesweiter Richtlinien etwa 1.900 Zuverdienstplätze, während in anderen Bundesländern praktisch gar keine existieren. Die einzelnen Angebote unterscheiden sich zudem in vielfältiger Weise. Dies betrifft nicht nur die Größe des Angebots und die jeweilige Beschäftigung, sondern auch die Organisationsform, die Finanzierung, Ort und Einbindung der Tätigkeit wie auch das Rechtsverhältnis und die Bezahlung der Beschäftigten. Gemeinsam mit Claudia Rustige, Geschäftsführerin der BAG IF, beschreibt Christian Gredig, wie sich die Landschaft der Zuverdienstangebote mit den Jahren entwickelt hat und wie sie sich grob strukturieren lässt.
Im Teil »Chancen, Qualität und Wirkung« beschreiben zunächst die Wissenschaftlerinnen Uta Gühne und Steffi Riedel-Heller die besonders positiven Wirkungen für Gesundheit und Wohlbefinden von Supported Employment bzw. Unterstützter Beschäftigung, zu denen die Zuverdienstprojekte gehören.
Azize Kasberg geht detailliert und sachkundig der Frage nach, wie barrierefreie Arbeit für Menschen mit psychischen Erkrankungen aussehen kann und soll. Michael Scheer beschreibt in der Praxis entwickelte Möglichkeiten, die Wirksamkeit von Zuverdienst zu erfassen und darzustellen. Dies ergänzt Christian Gredig mit Ratschlägen für eine Evaluation von Zuverdienst, die nicht zuletzt auch für die Argumentation gegenüber Kostenträgern wichtig ist.
Im Teil »Rahmenbedingungen« geht der langjährige Experte für das SGB IX Professor Peter Mrozynski detailliert auf die möglichen Auswirkungen des BTHG auf das Gebiet des Zuverdienstes ein. Zwar seien mit den sogenannten »anderen Anbietern« Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb des etablierten Werkstattsystems geschaffen worden, die eine relativ gute Finanzierung mit sich bringen dürften, unklar bleibe aber, ob diese Möglichkeiten für die Klientel der Zuverdienstangebote erreichbar ist. Außerdem sieht Mrozynski die Gefahr, dass durch die Einschränkungen der Eingliederungshilfe im Bereich Beschäftigung ausschließlich auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben der Zugang zum Zuverdienst drastisch verengt wird.
Stefan Burkhardt, selbstständiger Berater, früher bei der Aktion Mensch, beschreibt die großen Vorteile der Zusammenarbeit mit Stiftungen – insbesondere für Projekte mit einer solch unsicheren Finanzierungsgrundlage wie Zuverdienst. Eingehend werden die Fördermöglichkeiten durch die Aktion Mensch beschrieben, die Rocco Gräßler anschließend anhand eines Beispiels konkretisiert. Er weiß, wovon er schreibt, denn er ist Berater bei der FAF gGmbH und berät Zuverdienstprojekte im Aufbau.
Im letzten Teil werden Praxisbeispiele verschiedenster Art vorgestellt. Von der Gemüsewerft in Bremen über den Secondhandladen Mollywood in Mainz bis zum Zuverdienst in der Werkstatt Nürnberg ist quasi für jeden etwas dabei. Bemerkenswert ist ein Beispiel aus Augsburg, wo »Beteiligung am Leben« Zuverdiener individuell in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes einsetzt und Betriebe und Betroffene dabei betreut.
Im Anhang schließlich werden Praxismaterialien angeboten. Hier finden sich nicht nur Datenblätter für eine Evaluation. Es wird auch eine Vorlage für eine Leistungsbeschreibung geboten sowie das Beispiel eines Zuverdienstvertrages mit Beschäftigten.
Wer sich über den aktuellen Stand der Dinge im Bereich Zuverdienst zuverlässig, gut strukturiert und verständlich informieren möchte, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Auch alte Hasen in diesem Feld lernen hier andere Ansätze kennen und erhalten Hinweise auf die Fragen, wie es mit dem Zuverdienst in der nächsten Zeit weitergehen kann. Was fehlt, ist eigentlich nur das Wort »Handbuch« im Titel.
Manfred Becker in Psychosoziale Umschau
Letzte Aktualisierung: 12.04.2024