Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie
Dachverband Gemeindepsychiatrie
Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen
Psychiatrie Verlag

Vom Ich-Wissen zum Wir-Wissen - Mit EX-IN zum Genesungsbegleiter

Wer wissen möchte, was EX-IN ist, will und kann, sollte "Vom Ich-Wissen zum Wir-Wissen" lesen. Die Genesungsbegleiterin Bettina Jahnke interviewte für ihr Buch viele Teilnehmer, aber auch Dozentinnen ihres eigenen EX-IN-Kurses 2009/2010 in Köln.

In 14 Kapiteln stellt uns die Autorin 14 Kursabsolventinnen und -absolventen vor. Alle Beteiligten sind Psychiatrie-Erfahrene oder Angehörige. Eingeleitet werden die Interviews durch eine kompakte und auch für Nichtkenner des EX-IN-Kosmos leicht verständliche Zusammenfassung der Methodik und der Module, d.h. der Lehr- und Lerneinheiten.

Vielstimmigkeit

Ein großes Anliegen formuliert Frau Jahnke im Vorwort: "Die Vielstimmigkeit ist ein wichtiger Anspruch dieses Buches. Es vermittelt Ihnen einen Eindruck davon, welche persönlichen – auch krisenhaften – Entwicklungen sich EX-INler stellen, um sich selbst zu klären und darüber hinaus einen engagierten Beitrag zu leisten für die soziale Rehabilitation psychisch kranker Menschen, die die Hoffnung auf Genesung im Sinne eines Recovery-Prozesses nicht aufgeben."

Bettina Jahnke hat diesen Anspruch nicht nur eingelöst, sondern auch einiges darüber hinaus getan: Sie zeigt wie das EX-IN-spezifische "Wir-Wissen" durch den Kurs entwickelt und gefördert wird. Der eigentherapeutische Nutzen der Ausbildung wird dabei genauso wertschätzend bedacht wie die Hoffnung, mit EX-IN in Arbeit kommen zu können.

Außergewöhnliches Talent

Bettina Jahnke ist über ihre psychiatrische "Erfahrungsprofession" hinaus eine versierte Journalistin. Diese Kombination birgt eine Tücke. Die Journalistin möchte aufdecken und berichten, die Psychiatrie-Erfahrene will loyal und diskret sein gegenüber den Kurs-Kollegen. Glücklicherweise versucht die Autorin nirgends, eine der Rollen hinter der anderen zu verstecken. So gelingt es ihr, beiden mehr als gerecht zu werden. Dabei hilft ihr das außergewöhnliche Talent, sich wie ein "Seelengast" in Menschen einzufühlen. Die Interviewten spüren dies offenbar, denn sie lassen sich auch auf heikle Fragen offen ein und sprechen freimütig über sich und ihr Leben.

Die Kursabsolventen berichten von den Erfahrungen in der Ausbildung, von persönlichen Rückschlägen und Erfolgen während des gemeinsamen Jahres, sie reflektieren ihre Vergangenheit und entwickeln Pläne, wie sie die Psychiatrie mit ihrem Beitrag verändern können. Deutlich wird ihre Motivation, im Feld der Psychiatrie konstruktiv mitzuwirken – oder genau dies sein zu lassen.

Auf der zweiten Ebene

Die Untertitel der Interviews verweisen auf jene Ausbildungsmodule, die den einzelnen Gesprächspartnern besonders am Herzen liegen. Wir erhalten mithin fachkundige Einblicke in die Module Recovery, Beraten & Begleiten, Krisenintervention usw. Das schafft einen Rahmen und ist lehrreich.

Viel bemerkenswerter finde ich aber, was auf der zweiten Ebene geschieht: wie selbstverständlich und wohl durchdacht die Interviewten ihre Ideen zu einer bedarfsgerechten Psychiatrie vortragen. Sie beruhen auf den Erfahrungen dessen, was sie ändern mussten in ihrem Leben, um besser mit Krisen umgehen, bzw. nahende Krisen abwenden zu können. Oder wie sie die Erfahrungen der Ausbildung in ihren Alltag, ihre Freizeit integrieren, in ihre neue Arbeit im ambulanten oder klinischen Psychiatriebetrieb.

Fast unmerklich für uns Lesende verknüpft sich alltägliches und krisenhaftes Erleben der Einzelnen mit Erkenntnissen und Erfahrungen aus der Ausbildung und den darin geleisteten Praktika. Während wir lesen, verwandelt sich auch unser Ich-Wissen zu Wir-Wissen. Das Buch atmet eine Atmosphäre von Aufbruch und gesundem Stolz, von furchtloser Rückschau und kritischem Selbstblick. Gewürzt mit Humor, Klugheit und Sensibilität wird es rasch zu einem Lesevergnügen. Es lohnt sich für jeden psychiatrisch Tätigen dieser Einladung zu folgen: "Lass uns auf das offene Meer fahren, damit wir den Überblick bekommen." (S. 136)

Tom Klein in Psychosoziale Umschau

Letzte Aktualisierung: 12.04.2024