Es ist die immer wiederkehrende Frage, wenn man das Buch eines Psychiatrieerfahrenen liest: Was macht dieses Buch besonders aus? Wenn sich jemand den Aufzeichnungen und Gedichten von Niels Schmitt nähert, wird es schnell klar. Schmitt drückt nicht auf die Tränendrüse, er versucht nicht, das Mitleid Lesender zu erheischen. Seine schriftstellerische Arbeit besticht durch Authentizität. Schon im Vorwort des Psychiaters Ulrich Morlock wird dies deutlich: »Und er zeigt uns seine Auseinandersetzung mit der Erkrankung, deren Bedrohlichkeit greifbar wird.« (S. 5)
So beschreibt er zum Beispiel sein Zimmer in einem psychiatrischen Wohnheim als »Schauplatz erbitterter Kämpfe gegen meinen, wenn auch unsichtbaren Gegner, die Schizophrenie« (S. 32). Immer wieder kommt er zurück auf die elektrische Schreibmaschine auf seinem Schreibtisch. Für ihn sei sie lebenswichtig, schließlich seien ohne sie der Schreibfluss »bereits für immer versiegt, meine Wortmeldungen verstummt« (S. 32).
Schmitt scheint das Schreiben für sein Leben, besser gesagt für sein Überleben, zu brauchen. Es gibt ihm aus der Stille eines Wohnheimzimmers hinaus eine Stimme, die nicht nur dazu dient, auf sich aufmerksam zu machen. Vielmehr gewinnen die Lesenden den Eindruck, dass Schmitts Stimme unbedingt gehört werden sollte.
Wieso Schmitts Stimme wahrgenommen werden sollte, lässt sich so beantworten: Es liegt in seinem klaren Blick auf die eigene Person, aber auch auf das psychiatrische Versorgungssystem begründet. Schon 1990, so zeigen seine Aufzeichnungen, beschreibt er: »Tage, Wochen in der Psychiatrie, die manchmal mehr einem Albtraum gleicht als einer Einrichtung, in der ›gestrandete Seelen‹ wiederhergestellt werden.« (S. 23) Er habe damals das Gefühl gehabt, »dass diese Akutstation ... kein Ort für mich ist« (S. 23).
Schmitt schafft es, die psychiatrisch Tätigen unter den Lesenden nicht nur zum Nachdenken zu bringen. Nein, er bewegt die professionell Helfenden, die Augenhöhe mit Betroffenen zu suchen und zu halten. Schmitt dankt es auf seine Weise. Beispielsweise setzt er mit dem Gedicht »Pflegerisches Urgestein« einem psychiatrisch Pflegenden ein Denkmal: »Sie sind wie ein Fels in der Brandung.« (S. 31) Der psychiatrisch Pflegende habe seinen Stationsalltag bereichert, er sei dankbar dafür, dass es ihn gebe.
Überhaupt misst er den Menschen in seiner sozialen Umgebung eine große Bedeutung bei. Schmitt dankt seinem Vater in einem Gedicht für augenscheinlich Belangloses. Das gemeinsame Hören einer Jazzlangspielplatte, das sich in seine Erinnerung eingebrannt hat. Seit Mitte der 1980er-Jahre erlebt Schmitt immer wieder psychotische Episoden. Trotz alledem spiegelt sich in seinen Texten eine große Zufriedenheit mit dem Leben wider.
Ja, was ist denn nun das Besondere des Buchs »Ein Stein oder Fels möchte ich sein«? Schmitt zeigt mehr als deutlich, dass seine seelische Erschütterung nur ein Teil seiner Biografie und seiner Persönlichkeit ist. Den Lesenden gönnt er die Gelegenheit, den nachdenklichen und optimistischen, vor allem den klar in die Gegenwart blickenden Menschen wahrzunehmen. Insofern bleibt mir nur ein Dank für eine unerwartete Begegnung, die Spuren hinterlässt.
Christoph Müller in Psychosoziale Umschau
Letzte Aktualisierung: 17.04.2024