Die aktuelle fachpolitische Diskussion in allen Bereichen der Eingliederungshilfe wird bundesweit dominiert von den Aktivitäten zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetz (BTHG). Die neu zu regelnden Prozesse, Festlegungen und Verträge betreffen mehr als 900.000 Leistungsberechtigte und Hunderttausende Fachkräfte der Leistungserbringer und der Leistungsträger.
Um es vorwegzunehmen, das durchaus anspruchsvolle Vorhaben, ein in 27 Kapitel gegliedertes Änderungsgesetz mit 227 Paragrafen in seinen Grundzügen darzustellen und die jeweiligen Folgen für die psychiatrische Arbeit aufzuzeigen, ist dem Autor eindrucksvoll gelungen.
Er bündelt und sortiert das Gesetz nach zentralen Schwerpunkten der sich so umfangreich verändernden Sozialgesetzgebung. Verständlich erläutert er grundsätzliche Aspekte wie den Behinderungsbegriff, die Vorrangregelungen, die Frage nach dem Träger der Eingliederungshilfe, die unabhängige Teilhabeberatung und die Anrechnung von Einkommen und Vermögen.
Am Ende eines jeden Kapitels werden die Folgen für die psychiatrische Arbeit aus unterschiedlichen Perspektiven erörtert. Nahe am Gesetzestext werden hier jeweils die Chancen und Risiken für Menschen mit einer seelischen Beeinträchtigung abgeleitet, die sich aus dem BTHG ergeben. Dies sind für mich die spannendsten Absätze des Buches, werden hier doch die vorher erläuterten gesetzlichen Veränderungen mit der umfangreichen Erfahrung des Autors für die Praxis bewertet und eingeordnet.
Im Zentrum des Buches stehen die Stärkung der Rechte von Menschen mit Behinderungen und die darin liegenden verbesserten Realisierungsmöglichkeiten »ihrer« Teilhabe, sowohl in der Teilhabeplanung als bei der Umsetzung. So wird unter anderem künftig »dem Leistungsträger (…) die Pflicht auferlegt, den Wünschen des Menschen mit Behinderung zu entsprechen« (S. 49). Matthias Rosemann geht dann auf den neuen Assistenzbegriff und die Anforderungen an die nun zu schaffenden ICF-kompatiblen Instrumente zur Bedarfsermittlung ein.
In Bezug auf die neue Wohnraumdefinition beschreibt er die Auflösung der bisherigen Kategorien ambulant, teilstationär und stationär und verweist dabei auf die Umstellungsprobleme bei der Kostenzuordnung in der Vergütung.
Ein eigenes Kapitel widmet sich der Schnittstelle zwischen der Pflege und der Eingliederungshilfe einschließlich des neuen Grundsatzes, Leistungen aus einer Hand zu ermöglichen. Auch hier gilt es für ihn, die entsprechenden neuen Verfahren zu üben und dabei die Ziele und Wünsche des Betreffenden zu berücksichtigen.
Im Kapitel »Neue Wege zur Arbeit« werden die neu hinzugetretenen Möglichkeiten anderer Leistungsanbieter und das Budget für Arbeit vorgestellt und die grundlegende Ausrichtung der Gesetzgebung erläutert. Abschließend geht der Autor noch auf ausgewählte vertragsrechtliche Themen wie das erweiterte Prüfrecht, den wirtschaftlichen Vergleich und die neuen Vergütungsstrukturen ein. Dabei weist er auf die gesetzlich verpflichtende Forderung hin, dass auch die Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen an der Ausgestaltung der Vereinbarungen in den Ländern miteinbezogen werden.
Matthias Rosemann kommt aus der Praxis und schreibt für die Praxis. Er ruft alle Akteure auf, engagiert an der Einführung des BTHG und den zahlreichen neuen Verfahren mitzuwirken. Sein Anliegen ist es, allen Beteiligten klarzumachen, dass die Stärkung der Rechte von Menschen mit Behinderungen sich nicht von alleine einstellen wird, sondern vor allem die psychiatrische Fachszene sich jetzt aktiv an der Umsetzung beteiligen muss. Hierin liegt meines Erachtens die zentrale fachpolitische Botschaft des Buches.
Die psychiatrischen Leistungserbringer haben mit diesem kompakten Werk für ihre Mitarbeitenden eine erste knappe Einführung in das BTHG zur Verfügung. Es kann damit allen Fachkräften in der Eingliederungshilfe – sowohl bei den Reha-Trägern als auch bei den Leistungserbringern – als fundierte Einführung und Leitfaden für die Praxis dienen. Es kann aber auch eine gute Orientierung für Menschen mit Teilhabebeeinträchtigungen und ihre Familien sein, sich in der neuen und hochkomplexen Gesetzgebung besser zurechtzufinden und ihre erweiterten Rechte durchzusetzen.
Volker Schröder in Psychosoziale Umschau
Letzte Aktualisierung: 26.04.2024