Jetzt seien Sie einmal ehrlich zu sich selbst: Wie leicht oder wie schwer fällt es Ihnen, mit Menschen umzugehen, die unter einer Angstsymptomatik leiden? Ist die Unsicherheit größer als Sie es sich wünschen? Oder können Sie ganz souverän mit den manchmal schwer nachvollziehbaren Ängsten umgehen?
Wenn Sie das neue "Angst-Buch für Pflege- und Gesundheitsberufe", das Anja Kusserow und Thomas Hax-Schoppenhorst herausgegeben haben, in die Hand nehmen, wird die Sicherheit im Umgang mit dem Angstphänomen wachsen. Kusserow und Hax-Schoppenhorst haben ein ebenso tiefgründiges wie informatives Buch über die Angst veröffentlicht.
Aus vielerlei Blickwinkeln schauen sie auf die Angst. "Scham und Angst im Kontext Inkontinenz" kommt zur Sprache. "Angst in der Palliativversorgung" wird thematisiert. "Ängste vor und nach einer Geburt" kommen in den Fokus. Vor allem schauen die Autorinnen und Autoren auf das Phänomen der Angst im psychiatrischen Versorgungskontext. So schreibt die Krankenschwester Anja Kusserow über die "Angst vor dem Patientensuizid".
Beispielhaft ist ihr existenzielles Nachdenken, wie man der Angst und den von ihr betroffenen Menschen gerecht werden kann. So beschreibt Kusserow die unangenehmen Gefühle, die durch die Begleitung suizidaler Menschen bei Pflegenden ausgelöst werden. Sie befürchtet, "die unbewussten, unreflektierten und unbearbeiteten Gefühle belasten den Kontakt mit dem Patienten und begünstigen auf beiden Seiten den Rückzug" (S. 279). Sie plädiert für den offensiven Umgang mit den persönlichen Ängsten: "Im Hinblick auf die Frage nach der Verantwortung oder Schuld an einem Suizid ist die persönliche innere Haltung, dass eine Therapie auch scheitern kann, ein wesentlicher Aspekt. Man wird dazu gezwungen, die Begrenztheit und Hilflosigkeit des eigenen Handelns anzuerkennen und die damit verbundenen Ängste und Aggressionen anzunehmen." (S. 281) Es ist jedoch nicht nur Kusserows Aufsatz "Angst vor dem Patientensuizid", der eine größere Aufmerksamkeit, aber auch eine breite Diskussion verdient.
So ist die Empathie des Lesers und auch sein professionelles Handeln gefragt, wenn man den Überlegungen des niederländischen Krankenpflegers Johannes van Dijk folgt, der die "Angst bei Menschen mit einer Demenzerkrankung" in den Blick nimmt. Er mahnt bei Pflegenden die Selbstreflexion an: "Um sich Angsterlebnisse der betreuten Personen besser vorzustellen und sich in sie einzufühlen, ist zu empfehlen, eigene Angsterlebnisse zu reflektieren." (S. 237)
Was in Pflegestandards und Behandlungsleitlinien häufig so sachlich klingt, macht Johannes van Dijk konkret: "Die Präsenz Pflegender im Wohnzimmer einer Altenpflegeeinrichtung bewirkt bei den Anwesenden meist ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit. Ohne diese Präsenz gibt es vermehrt Passivität oder Unruhe und Konflikte zwischen Bewohnern und eine größere Chance, dass Ängste ausgelöst werden." (S. 238)
Mit dem "Angst-Buch für Pflege- und Gesundheitsberufe" haben die Autorinnen und Autoren um Anja Kusserow und Thomas Hax-Schoppenhorst ein Thema aufgegriffen, das implizit bei fast allen pflegerischen und psychosozialen Aktionen mitschwingt, aber zu selten beachtet wird. Nochmals Hand aufs Herz: Können Sie sich vorstellen, sich auf die fremden und eigenen Ängste einzulassen? Kusserow und Hax-Schoppenhorst laden Sie mit den Autorinnen und Autoren herzlich dazu ein.
Christoph Müller in Psychosoziale Umschau
Letzte Aktualisierung: 26.04.2024