Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie
Dachverband Gemeindepsychiatrie
Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen
Psychiatrie Verlag

Manie und Depression - Selbsthilfe bei bipolaren Störungen

In Deutschland leben mehr als zwei Millionen Menschen mit einer bipolaren affektiven Störung und eine noch größere Anzahl mittelbar betroffener Angehöriger, Freunde und Arbeitskollegen. Gegen diese zur Chronifizierung neigende Erkrankung die richtige Hilfe zu finden, ist nicht immer einfach. Die Psychologin Monica Ramirez Basco, die seit vielen Jahren am Texas Southwestern Medical Centre praktiziert, hat eine Anleitung zur Selbsthilfe für Betroffene geschrieben, die nun aus dem Amerikanischen ins Deutsche übersetzte. Ramirez Basco sieht die Ursache von Manie und Depression in einer Störung des Hirnstoffwechsels, die sich sowohl auf die Psyche als auch auf alle Bereiche des sozialen Lebens auswirkt. Die aus der Störung resultierenden heftigen Stimmungsschwankungen sind so schädlich, dass alles daran gesetzt werden muss, sie in ihrer Häufigkeit und Schwere wenigstens zu mildern. Unabdingbare Voraussetzung einer erfolgreichen Therapie, so Ramirez Basco, ist deshalb die Bereitschaft zur regelmäßigen Einnahme der vom Arzt verordneten Antizyklika. Da die Medikamentenbehandlung allerdings Lücken offen lasse, bedürfe es spezieller Fertigkeiten in der Lebensgestaltung und im Umgang mit den Symptomen. Hier bietet das Arbeitsbuch eine Fülle erfahrungsgesättigter Vorschläge, Arbeitsbögen und Übungen zur Selbsthilfe, die unserer Ansicht nach auch diejenigen nutzbringend verwenden können, denen das oben beschriebene Krankheitsmodell allzu linear ist. Die Autorin vertritt die Sicht der biologischen Psychiatrie und der Verhaltenstherapie, ohne einen relativierenden Seitenblick auf die wissenschaftlichen Diskussionen und die zunehmende Öffnung der psychologischen Schulen zu werfen. So vermittelte sich uns der Eindruck, dass ein gewisser in den ersten Kapiteln herrschender »Du sollst«- oder sogar »Du musst«-Ton eine Folge dieser Orientierung ist. Die These, dass seine Krankheit nur der wirklich akzeptiert, wer die »fünf Stadien der Trauer« nach Elisabeth Kübler-Ross geradlinig durchlaufen hat, scheint uns fragwürdig. Die Bewältigung von Verlust verläuft eben nicht in klar abgrenzbaren und einander logisch folgenden Stadien, sondern Leugnen, Wut, Verhandeln, Depression und Akzeptanz scheinen in immer neuen Mischungen und bei jedem Menschen unterschiedlich auf. Kritisch sehen wir auch, dass aus Sicht der Autorin Symptome und vor allem Gefühle lediglich auf ihren Realitätsgehalt geprüft, gemanagt, kontrolliert und effektiver bewältigt werden sollen. Unseres Erachtens ist es darüber hinaus sinnvoll, sie als eine Art bedeutender Mitteilung über innere Konflikte ernst zu nehmen. Wenn versucht wird, die »Sprache« der Symptome zu verstehen, kann sich Vertrauen bilden und die Hoffnung, dass sich die Mühen des Übens lohnen können. Die Autorin widerlegt aber zum Glück ihre eigene ökonomisch-technische Seh- und Ausdrucksweise im Arbeitsbuch, das in weiten Teilen von einem herzlichen Ton und in der Genauigkeit der Beschreibung von einer tiefen Menschenkenntnis getragen ist. Das Arbeitsbuch gliedert sich in die vier »Schritte«: Zeichen (früh) erkennen, Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, Symptome reduzieren, Fortschritte überprüfen. Innerhalb dieser Schritte bzw. Kapitel ist es modular angelegt. Das Buch kann deshalb sowohl systematisch durchgearbeitet, als auch bei Bedarf immer wieder zu Rate gezogen werden. Als Erstes sind die Leser aufgefordert, anhand von Arbeitsblättern und Übungen ihre jeweils ganz eigene Ausprägung der Krankheit, vor allem ihr ganz persönliches Symptommuster zu reflektieren und sich davon ausgehend zu einem genau auf sie zugeschnittenen Frühwarnsystem vorzuarbeiten. Die passenden Methoden und Übungen zu finden, auszuprobieren und auf ihre Zweckmäßigkeit hin zu prüfen, fällt danach leicht. Vier beispielhafte Figuren führen von nun an durch das Buch und geben dem ganzen »Fleisch«. Ihre Geschichten helfen ungemein, sich selbst zu verorten. Die Personen sind unterschiedlich alt, leben sehr verschieden und haben je andere Erfahrungen mit ihrer Krankheit gemacht. »Stefan«, »Monika«, »Paul« und »Sabine« leiten und ermutigen den Leser mit ihrem Beispiel durch alle Schritte, Übungen und Fragebögen. Hier zeigt sich deutlich, dass Ramirez Basco sich lange, intensiv und empathisch mit ihren Patienten beschäftigt haben muss. Die Autorin kennt offensichtlich die geradezu mikroskopisch kleinen, von außen kaum wahrnehmbaren Verschiebungen und Verrückungen, die vermeintlich nebensächlichen, tatsächlich aber ausschlaggebenden ersten Anzeichen eines Stimmungsumschwungs, die aus Scham oder aus anderen Gründen meist beiseitegeschoben werden, bis sie eine Heftigkeit bekommen, die nicht mehr länger ignoriert werden kann – dann aber ist der nächste manische oder depressive Einbruch schon da. Anders als andere Bücher zum Thema benennt sie die beeindruckenden Symptome wie Schlafmangel oder zwanghaftes Sprechen und die gravierenden sozialen Folgen, wie Verschuldung oder Zerwürfnisse, nur kurz, quasi als die sichtbare Spitze des Eisbergs, und konzentriert sich stattdessen auf die unscheinbaren inneren Veränderungen. Wenn beispielsweise eine Mutter spürt, wie sich angesichts ihrer unschuldig spielenden Kinder eine namenlose, untergründige Wut in ihr zusammenbraut. Aus Scham wird es ihr schwerfallen, diese Gefühle nicht zu überspielen, sondern sie als Frühwarnzeichen anzuerkennen. Was es bedeutet, einem überwältigenden Hunger nicht nachzugeben, sich dem spannungslösenden Fressanfall nicht hinzugeben, sondern sich dem Gefühl wachsender innerer Anspannung, das sich als Hunger äußert, mit Aufmerksamkeit zuzuwenden, kann man als Nicht-Betroffene kaum ermessen. Oder wenn vorwurfsvolle und entwertende Selbstgespräche wie ein unaufhörlicher, kaum noch bewusst registrierter Strom alle Handlungen an- und abschwellend kommentieren, ja geradezu vergiften. »Stefan, Monika, Paul und Sabine« ermutigen dazu, vor sich selbst ehrlich und aufrichtig zu sein, indem sie sich in ihren Beispielen in großer Offenheit gerade solche Verhaltensweisen und Kontrollverluste eingestehen und niederschreiben, die man leicht als unwichtig oder lächerlich abtut, die aber vor allem Schamgefühle verursachen. Ebenso differenziert, individuell und von großem praktischen Nutzen sind die auf dieser Vorarbeit fußenden Vorschläge, Übungen und Tricks für ein zufriedeneres Leben auch mit der Krankheit. Hier wäre allerdings ein Register hilfreich, dann könnte man es wie ein Nachschlagewerk jederzeit wieder zu Rate ziehen. Unserer Meinung nach werden Manisch-Depressive sehr von diesem Buch profitieren, wenn sie es psychotherapiebegleitend nutzen. Für die Zeiten zwischen dem Sturm der Manie und der bleiernen Stille der Depression, die sich dann hoffentlich ausdehnen und lebbarer werden, ist dieses Buch dringend zu empfehlen.

Renée Bertrams und Ursula Krahe in Psychosoziale Umschau

Letzte Aktualisierung: 26.04.2024