Bisher mochte ich keine Rezensionen schreiben. Aber als Alanens Schizophrenie-Buch zu diesem Zweck bei der letzten Redaktionssitzung auf den Tisch kam, konnte ich nicht widerstehen. Ich wollte es haben, um es zu lesen, auch um den Preis der Mühen einer Rezension. Vier Wochen später kann ich Bericht erstatten.
Ich habe das Buch in für mich relativ kurzer Zeit ohne Mühe und mit Gewinn von der ersten bis zur letzten Seite gelesen, und ich empfehle den INFO-Lesern, es auch auszuprobieren. Ariö Alanen hat als Professor an der Universität im finnischen Turku jahrzehntelang für ein besseres Verständnis und eine bessere Behandlung schizophren erkrankter Patienten gearbeitet. Das vorliegende Werk , das 1993 in seiner Heimat und vier Jahre später in englischer Übersetzung auf den Markt kam, ist die wissenschaftliche Bilanz einer großen Psychiater-Persönlichkeit.
Ähnlich wie Heinz Häfners zusammenfassende Darstellung "Das Rätsel Schizophrenie" (C.H. Beck, München 2000) zielt es auf ein breites Publikum auch außerhalb der Fachwelt, aber es atmet einen ganz anderen Geist. Häfner hängt einem Defizitmodell der Schizophrenie an (durch das fehlende Stuhlbein auf dem Buchdeckel treffend angezeigt) und brilliert dabei mit intimer Kenntnis der so genannten Fachliteratur.
Alanen dagegen setzt seinen Schwerpunkt auf ein psychodynamisches Verständnis der Erkrankung und auf die Erprobung bedürfnisangepasster Behandlungsverfahren. Wie ein Laienpublikum allerdings mit dem Fachjargon beider Autoren zurechtkommt, wage ich nicht zu beurteilen. Häfner wie Alanen gehören zu den grand old men der Schizophrenieforschung, und da kann ich es ihnen nicht verübeln, dass sie den von ihnen selbst initiierten Forschungsprojekten jeweils besondere Aufmerksamkeit schenken.
Alanens Meisterstück ist in diesem Zusammenhang die wohlüberlegte Einführung und kritische Überprüfung verschiedener psychotherapeutischer Verfahren in der psychiatrischen Regelversorgung vor Ort. Das geschah zuerst in Turku, dann in verschiedenen Regionen Finnlands anderer skandinavischer Länder. Dazu braucht's einen langen Atem, und den hat Alanen ganz offensichtlich gehabt. Mir gefällt dabei nicht nur sein - im Gegensatz zu Häfner - warmherziger und flüssiger Stil (Kompliment auch an den Übersetzer Gernot Hess aus Münster!), sondern auch seine Integrationsfähigkeit.
Alanen bringt Theorie und Praxis zusammen, systematischen Überblick und Schilderung von Einzelschicksalen, Gemeindepsychiatrie und Psychotherapie, Psychoanalyse und Familientherapie. Gewünscht hätte ich mir freilich eine schonungslosere Darstellung der traditionellen Verfahrensweisen im Umgang mit schizophren erkrankten Patienten in Finnland, wo Reformimpulse wie die von Alanen bitter nötig waren. Da lag ganz offensichtlich viel im Argen, und angesichts deutscher Verhältnisse glaubt man nicht, dass nach 20 Jahren Reform alles anders geworden ist.
Wer das Häfner-Buch schon in seinem Regal stehen hat, ohne es bisher durchgelesen zu haben, kann es im Übrigen - wie ich - hier und da als Ergänzung und "Gegengift" zur Hand nehmen, um dem Charme des Buches von Alanen nicht leichtfertig zu erliegen.
Hermann Elgeti in Sozialpsychiatrische Informationen
Letzte Aktualisierung: 26.04.2024