Reichtum hat viele Gesichter. Das vielstimmige Orchesterstück der Seele wird in diesem Buch ganz neu komponiert. Psychosen als Fortschritt und wichtige Lebensphase, als Bedrohung, als Einschnitt. Immer aber, als etwas zutiefst Menschliches. Wer ausgrenzt und abwertet, nimmt dem Leben etwas von seiner Vielfalt. Das ist die Botschaft der Autoren.
Das Werk versammelt die Erfahrungen von Menschen in psychischen Krisen, ihren Angehörigen und Therapeuten. Dabei bleiben diese drei Gruppen nicht künstlich getrennt. Natürlich können auch Ärzte, Pfleger und Betreuer psychotisch werden. Bisher wird dieser Bereich aber oft tabuisiert. Dabei wird in einzelnen Beiträgen deutlich, dass eigene Krisen-Erfahrung gerade für Professionelle ein Gewinn sein kann. Grenzen werden bewusster wahrgenommen, Einfühlung fällt leichter.
Trotzdem bleibt es ein besonderer Schatz dieses Buchs, dass Unterschiede nicht pauschal nivelliert werden. Wenn ein Vater sich ohnmächtig und traurig fühlt, weil sein Sohn sich dauerhaft in einen Schlafsack zurück gezogen hat, dann ist er vorrangig in der Angehörigenposition. Er rätselt, was er tun und wie er helfen kann. Gespräche in Psychoseseminaren – teilweise im Buch wörtlich wieder gegeben – können helfen den anderen, aber vor allem erst einmal die eigene Position zu verstehen. Gefühle wie Angst, Trauer, Wut, Einsamkeit und Ohnmacht treten dabei immer wieder in den Vordergrund.
Die Tonleiter der Gefühle in ihrem ganzen Spektrum zu erleben und zu ertragen, ist offensichtlich für niemanden leicht. Gemeinsam kann es dennoch gelingen. Das Buch zeigt, dass die Auseinandersetzung mit dem scheinbar andersartigen, unsere Leistungsgesellschaft in ihre Schranken weist und Selbsterkenntnis fördert. Erst auf dieser Basis kann echte Begegnung geschehen und das Leben bereichern.
Verena Liebers in Eppendorfer
Letzte Aktualisierung: 26.04.2024