Maria Rave-Schwank hat zusammen mit der DGSP-Gruppe und dem Stadtarchiv Karlsruhe ein bemerkens- und lesenswertes Buch herausgegeben.
Seit Jahren schon beschäftigt sie sich mit dem Gedenken an die Opfer der sogenannten Euthanasie. Während ihrer Tätigkeit als ärztliche Direktorin des Psychiatrischen Krankenhauses Philippshospital (jetzt Vitos) Riedstadt setzte sie schon am 1. September 1989 einen Gedenkstein und initiierte jährliche Gedenkveranstaltungen für die im Rahmen der Euthanasie ermordeten Patienten und Patientinnen. Nun war es ihr ein Anliegen, auch der Karlsruher Opfer zu gedenken und ihnen mit diesem Buch ihren Namen und damit ihre Würde zurückzugeben.
Jahrzehntelang durften die Namen der ermordeten Opfer aus Datenschutzgründen nicht genannt werden, aus Rücksicht auf mögliche Angehörige, die aus Angst und Scham nicht mit der psychischen Erkrankung ihres ermordeten Angehörigen in Verbindung gebracht werden wollten. So wurden die Opfer doppelt stigmatisiert: erst namenlos getötet, dann namenlos geblieben ohne Ort der Trauer.
Das vorliegende Buch dient der Entstigmatisierung der Opfer und hilft Angehörigen, sich mit ihrer Familiengeschichte zu beschäftigen. Es kann ermutigen, sich zu öffnen, die eigene Familie mit all ihren Mitgliedern anzunehmen.
Anfangs gibt es einen sehr informativen Rückblick auf die T4-Aktion mit dem Schwerpunkt Baden. Das Herzstück des Buchs ist aber die Namensliste der Karlsruher Opfer. In einem Kapitel zuvor wird definiert, wer als Opfer gilt: Es sind psychisch kranke und andere behinderte Karlsruher Bürger, die zwischen Januar 1940 und August 1941 in den Vernichtungsanstalten (vorwiegend Grafeneck) ermordet wurden. Bei fehlenden Angaben zum Wohnort wurde der Geburtsort Karlsruhe gewählt.
Aufgelistet werden Name, Geburts- und Todesdatum sowie die Quelle (Verlegungs-, Opferliste). Seit 2007 hat die Arbeitsgruppe die Namen akribisch recherchiert, 372 Namen wurden identifiziert von 450 vermutlichen Opfern. Noch nicht erfasst wurden die Patienten, die ab September 1941 im Rahmen der dezentralen Phase der Euthanasie getötet wurden.
Drei exemplarische Lebensläufe verdeutlichen das Leiden der Betroffenen. Sehr beeindruckend ist da die Geschichte des Urenkels über seinen Urgroßvater. Dessen Krankheit und Tod wurde jahrzehntelang in der Familie aus Scham verschwiegen. Der Urenkel hat seine Geschichte recherchiert, öffentlich gemacht und für ihn vor seinem Elternhaus einen Stolperstein legen lassen.
Ein Juwel nennt Maria Rave-Schwank zu Recht die Erzählung von Alfred Döblin »Die Fahrt ins Blaue« von 1946 im Anhang. Der Autor beschrieb schon damals plastisch die T4-Aktion mit ihren Konsequenzen für Ärzte, Pfleger und Angehörige.
Ein umfassender Quellen- und Literaturnachweis rundet das Buch ab.
Das Buch ist lesenswert für alle, die sich mit der Euthanasie beschäftigen, aber auch für Angehörige von Menschen, die im Rahmen der Euthanasie ermordet wurden.
Bettina Scholtz in Psychosoziale Umschau
Letzte Aktualisierung: 01.05.2024