Bei diesem Buch handelt es sich um eine Übersetzung eines 1995 in den USA erschienenen Buches mit dem doch etwas griffigeren Titel: Clinical Guide to Alcohol Treatment. Mit dem zweiten Teil des amerikanischen Titels ist auch das Geheimnis gelöst, was sich hinter CRA eigentlich verbirgt. Die Autoren lehren beide an der University in Mexiko im Center on Alcoholism, Substance Abuse and Addiction und stellen in ihrem Buch ein Konglomerat an Behandlungsmöglichkeiten, Strategien, Techniken und ein Interventionsrepertoire vor, das bereits in den Siebzigerjahren begonnen wurde zu entwickeln. Diesem Konglomerat gab man den unhandlichen Namen: "Community Reinforcemant Approach – CRA".
Den Anlass zur Übersetzung durch ein Bielefelder Ärzteteam (Spitzberg, Lange, Reker) gab eine bundesweite Tagung des Fachausschusses der deutschen Gesellschaft für soziale Psychiatrie im Frühjahr 2005, auf der einer der Protagonisten des CRA in den USA dieses Konzept einem deutschen Publikum vorstellte. Dies führte dann letztendlich zu dem Projekt der Übersetzung des o. g. Buches.
Das Buch ist in seinen Kapiteln den einzelnen Interventionen und Behandlungsmöglichkeiten gewidmet. Zunächst gibt es einen Teil über das Assessment, in dem eine gegenüber der klassischen Verhaltenstherapie modifizierte Verhaltensanalyse erläutert wird. Im nächsten Kapitel wird das »Abstinenzkonto« vorgestellt, das zunächst eine totale Abstinenz als Behandlungsziel aufschiebt und eher den Sinn hat, möglichst viele Abstinenztage in einem bestimmten Zeitraum zu sammeln. Das nächste Kapitel ist dem Einsatz von Disulfiram und der Installation eines sogenannten Antabus-Coaches in die Therapie gewidmet.
Ein weiteres Kapitel widmet sich einem Skills-Training, das vor allen Dingen die Themen Kommunikation, Problemlösung und Ablehnungstraining umfasst. Weitere Techniken finden sich im nächsten Kapitel besprochen, dabei unter anderem Lösungsorientierung, Zielfokussierung, Hinführung zur Selbstständigkeit. Sogar ein Unterkapitel zur Technik der paradoxen Intervention ist enthalten.
Das wohl spezifischste Kapitel im Technikbereich ist das der Beratung im sozialen und Freizeitbereich, wo vor allen Dingen eine Hinführung zur Entwicklung eines gesunden sozialen Lebens im Mittelpunkt steht. Hier wird gezeigt, wie für jeden Klienten individuelle Verstärker erarbeitet werden können, wie diese Verstärker systematisch unterstützt werden und in ihrer Verfügbarkeit gesichert werden können. Ein weiteres Kapitel zielt auf die Paartherapie, sozusagen ein Spezialfall der Beratung im sozialen und Freizeitbereich.
Als letzter Punkt wird schließlich die Rückfallprävention ausgeführt, hier vor allen Dingen eine spezielle Verhaltensanalyse bei Rückfall mit dem Ziel der Erarbeitung von Präventiven (Frühwarnsystem etc.). In einleitenden Kapiteln wird auf die gute wissenschaftliche Absicherung der Wirksamkeit dieses Konzeptes bzw. Manuals hingewiesen, wobei sich die aus anderen Therapiestudien bekannten Probleme des Erfolgskriteriums zeigten.
Ein Wirksamkeitsnachweis gelang auf alle Fälle, das Kriterium der Totalabstinenz war jedoch dabei in seiner Signifikanz deutlich eingeschränkt erreicht worden. Schaut man sich kürzlich erschienene Manuale aus dem deutschen Sprachraum an, so entdeckt man beispielsweise bei Mann et al. 2006 im Grunde den identischen Reigen an Techniken und die ebenso ausführliche Referenz mit Studien mit positiven Wirksamkeitsnachweis. Insofern wird durch das Buch von Meyers und Smith hier nichts prinzipiell Neues in die wissenschaftliche Landschaft gebracht.
In den im Buch vorgestellten Metaanalysen zur Wirksamkeit des CRA zeigte sich übersichtsmäßig, dass das CRA neben Therapieverfahren wie z. B. kurze Interventionen, Motivational Interviewing, Training sozialer Fähigkeiten, Casemanagement und verhaltenstherapeutisch orientierter Paartherapie zur Gruppe der Therapieverfahren gehört, die die stärkste Evidenz bezüglich ihrer Effektivität vorliegt. Dies dürfte unter anderem natürlich darin begründet sein, dass das CRA-Manual Elemente aus all diesen erwähnten und sich als wirksam erweisenden Techniken in sich vereint. Kritisch anzumerken wäre höchstens, dass dem Buch Hinweise auf weitere Möglichkeiten der z. B. medikamentösen Rückfallprophylaxe fehlen, und dass im Rahmen des deutschen Versicherungssystems die Aufgabe, das beschriebene Manual in die Praxis umzusetzen, dem einzelnen Anwender in Deutschland überlassen bleibt.
Insbesondere im stationären Bereich der sogenannten qualifizierten Akutentgiftungsbehandlungen dürfte das Programm lediglich in einzelnen Teilen in eine Behandlung mit derart kurzer Verweildauer integriert werden können. Das Besondere an dem Buch, das letztendlich doch über die Erläuterung eines Technikmanuals weit hinausgeht, ist die Vermittlung einer grundsätzlichen Haltung eines Therapeuten und die Betonung der Tatsache, dass Suchtbehandlung immer dann besonders wirksam ist, wenn sinnstiftendere Zielsetzungen als der bloße Nicht-Konsum eine tragfähige Veränderungsbasis bewirken können.
Diese Haltung schimmert durch sämtliche Technikschilderungen durch und erschließt sich nur dem vollständig, der das Buch wirklich von Anfang bis Ende durchliest. In dem Horizont der uns bekannten Bücher über Suchtmedizin stellt gerade dieser Aspekt eine nicht zu überschätzende Besonderheit dar. Die Problematik, die sich aber gerade durch dieses Spezifikum ergibt, ist, dass gerade die Ausprägung und Vermittlung dieser Grundhaltung in den Therapievaluationsstudien schwer zu erfassen gewesen sein dürfte, sodass der Wert der Besonderheit dieses Buches, dem Gegenstand angemessen, statistisch nicht eingefangen werden konnte. Gerade bei einer psychotherapeutischen Hintergrundhaltung mit sinnstiftender Zielsetzung dürfte unklar bleiben, in wieweit eine solche Behandlung evaluierbar wird, indem man beispielsweise Kontrollgruppen behandelt.
Das Buch wird dadurch sehr praxistauglich, dass die meisten Techniken anhand sehr eingängiger Therapeut-Patientengespräche geschildert werden, zum anderen auch die Anwendung auf Patienten mit Abhängigkeit von anderen Substanzen mit entsprechenden Arbeitsmaterialien erleichtert wird (Benzodiazepin, Kokain, Opiate etc.). Heutzutage fast standesgemäß ist dem Buch eine CD-ROM beigefügt, auf der sich die Arbeitsblätter für Verhaltens- und Rückfallanalysen in ausdruckbarer und dadurch leicht vervielfältigbarer Form finden.
Stefan Mohr in Sozialpsychiatrische Informationen
Letzte Aktualisierung: 26.04.2024