Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie
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Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen
Psychiatrie Verlag

Das innere Leuchten

In der Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ wurde der bemerkenswerte Dokumentarfilm „Das innere Leuchten“ von Stefan Sick gezeigt. Er taucht ein in den Kosmos einer Pflegeeinrichtung für Demenzkranke in Stuttgart, das Gradmann-Haus. Der Filmemacher hat dort zwei Jahre lang immer wieder beobachtet und gedreht. Sick meint im Presseheft: „Für mich fühlt  es sich so an, als würden Menschen mit Demenz ihre Schutzschicht, die sich jeder von uns während seines Lebens mehr oder weniger antrainiert, verlieren und als würde ihr Charakter ungefiltert nach draußen dringen.“ Er trifft auf einen ungewöhnlichen Menschen, den ich hier einmal „Der Tänzer“ nennen möchte.

Der alte Mann bewegt seine Hände, als wolle er einen unsichtbaren Chor dirigieren. Oder beherrscht er eine geheimnisvolle Zeichensprache, macht er Reiki, oder betreibt er Eurythmie? Der Tänzer spricht zu seinen eleganten Bewegungen in einer unverständlichen Sprache; er tänzelt durch die Gänge der Einrichtung, und tritt in Kontakt mit den Bewohnern, besonders gerne aber mit den Mitarbeiterinnen. Auch sie lernen wir allmählich kennen; sie sind sanft und freundlich und beherrschen die Technik der Validation. Wenn jemand schimpft und brabbelt, dann nehmen sie den Impetus auf, und führen ein Gespräch. Es sind einige jüngere Demenzkranke, die sich unbedingt ausdrücken wollen, und darunter leiden, dass es ihnen nicht gelingt. Ich weiß nicht, ob Sick diesen Film ohne seinen wichtigsten Protagonisten, den „Tänzer“, hätte drehen können.

Er beherrscht die Szene, er bezaubert die Kamera und den Filmemacher. Der Sohn kommt zu Besuch, setzt sich ans Klavier und spielt die Geige. Der Tänzer tanzt, der Sohn lächelt. Sogar die Enkel kommen, und man geht gemeinsam  in die Kirche. Bevor der Film in einer Harmoniesoße davonschwimmt gibt es ein wenig Ärger: Die Herrschaften klauen sich gegenseitig die Schuhe oder verlangen, dass man mit ihnen das Bett teilt. Das ist zum Kaputtlachen, und man muss sich dafür nicht schämen.

Ein ganz klein wenig ungut fühlte ich mich angesichts der Ästhetisierung eines Zustands, den wir alle eher fürchten. Oder sollten wir uns diesem fließenden Endzustand einfach wehrlos hingeben?

Ilse Eichenbrenner

Letzte Aktualisierung: 12.06.2024