Ich gestehe: Der Filmtitel hat mich abgeschreckt. Assoziationen an Märchen, an die Verharmlosung psychischer Erkrankung stiegen hoch: "Der Kobold in der Höhle". Dieser Kobold namens Miza lebt zu allem Übel auch noch im Dreikönigenhaus in Köln-Mülheim - ein heidnisches Fabelwesen in einer sakralen Wohnstatt?
Nun, nach Betrachtung der äußerst gelungenen DVD bin ich rundweg einverstanden. Miza, der freundliche und weise Psychotiker hat wirklich etwas von einem Kobold, der sich in sein Zimmer zurückgezogen hat. Ich kann mich nicht erinnern, in meinem nun 15jährigen Filmknäckeleben ein so tröstliches und gleichwohl realistisches Porträt eines psychosekranken Menschen aufgespürt zu haben.
Antonio, genannt Miza liegt im Bett und erklärt dem Zuschauer die Psychose, und die Wirkung des Zyprexa auf diese: Die Psychose verdämpft, quasi auf mechanische Weise. Er berichtet von seinen Ideen, von Gott und der Kunst und erklärt seine Art zu denken und zu spüren. Dabei ruht Miza in seitlicher Lage im Bett, ein wenig an Buddha erinnernd, oder - na gut - an einen Kobold. Die Kamera führt uns in den Tagesraum, zu den anderen Bewohnern. Es wird Lasagne gegessen und gekocht, und Karton für Karton der Großeinkauf aus dem Bus zur Küche geschleppt.
Das dauert. Miza findet "wir psychisch Kranke haben es besser. Wir haben nicht die täglichen Verpflichtungen wie die Gesunden. Aber wir müssen Ergotherapie machen, kochen, putzen." Miza tastet sich aus seiner Höhle, besucht einen Galeristen, den er aus seinen künstlerisch aktiven Zeiten kennt.
Wir erfahren: Ohne Abitur hat Miza es geschafft, mit seiner Mappe unter Hunderten von Bewerbern an der Kunsthochschule aufgenommen zu werden. Er verknüpft Erinnerungen, er deutet einen Breakdance an, wird klarer. Kleine präzise Ausschnitte zeigen die Taschengeldausgabe bei der Sozialarbeiterin, später ein Gedächtnistraining in der Gruppe, bei dem Hobelbank, Säge und Bohrer erkannt und memoriert werden müssen. Dann wieder sitzt Miza mit seinem Freund und Mitbewohner Peter und schweigt: "Wir verstehen uns durch die Stille, ich und der Peter."
Gemeinsam besuchen sie das Museum Ludwig, und kommen an ihre Grenzen - zu viele Eindrücke. Miza erklärt sich selbst und scheint immer wacher und charmanter zu werden. Er malt ein Bild, und es ist so angenehm, ihm bei den Pinselstrichen zuzusehen. Das könnte noch dauern, ist aber bald zu Ende. "Wenn ich gesund wäre: eine Freundin, ein Atelier, Familie."
Mein Respekt gilt Marco Tobias Schulz, Marc Kempkens und Oliver Schnier, die diesen Film als Abschlussarbeit an der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften Köln hergestellt haben. Nichts verrät, dass hier nicht ausgekochte Profis am Werk waren. Hier wackelt keine Handkamera, und nie säuselt eine besserwisserische Stimme aus dem Off. Danke! Keine Musik verkleistert die Tonspur - Hallelujah! Auf Kommentare jeglicher Profession und Couleur kann "Der Kobold in der Höhle" getrost verzichten. Weder Psychose noch Heimalltag werden verklärt; gleichwohl kann der Zuschauer beides gelassen, ohne abwehren zu müssen, betrachten.
Logisch also, dass diese DVD schleunigst von allen Institutionen, die den Nachwuchs für das multiprofessionelle Team ausbilden, anzuschaffen ist. Mit seinen 45 Minuten hat der Film genau die richtige Länge für eine Doppelstunde Unterricht: unausgeschlafene Dozenten überlassen nach der Raucherpause die Auswertung dem frei-fluktuierenden Diskurs und bedanken sich gefälligst bei Miza.
Ilse Eichenbrenner
Letzte Aktualisierung: 12.06.2024