Es ist mir eine Ehre, für diesen kleinen aber sehr feinen Film zu werben. Er wurde mir von K. Stamer von der Diakonie Lahn Dill in Wetzlar geschickt, der an seiner Entstehung maßgeblich beteiligt war. Später mehr von ihm zur Entstehungsgeschichte des Films.
Doch zunächst zur Sache: Ein Mann und eine Frau im mittleren Lebensalter beschreiben ihr verstörtes Leben. Peter sitzt auf dem Bagger auf Montage, als sich plötzlich die Welt um ihn herum radikal verändert. Auch dem Zuschauer zerbricht die Welt in Schwarz und Weiß – eine kluge, keineswegs gekünstelte Visualisierung der gravierenden Fragmentierung durch eine vermutlich wahnhafte Störung. Sein Leben scheint ihm zu Ende. Er kommt in die Psychiatrie und schläft zunächst 48 Stunden. Er wird behandelt, es geht ihm besser, nach der Entlassung bricht er erneut zusammen. Er geht durch die Drehtür, mehrfach.
Die hochprofessionelle Kamera begleitet Peter in seinem neuen, mühsam errungenen Leben in der Psychiatrie-Gemeinde, vor allem in der Tagesstätte des Zentrums„Haus Sandkorn“. Er lebt in einer betreuten Wohngemeinschaft. Er ist ein glühender Anhänger von Bayern München, und demonstriert dies mit konsequentem Outfit. Er kommentiert die verschiedenen Sequenzen selbst; es gibt keinen Experten aus dem Off, - nur Peter, der sich selbst und sein Leben und sein Konzept der Störung erläutert. Peters berufliches und privates Leben ist durch die Erkrankung gebrochen. Trotzdem wirkt er zuversichtlich; er trifft sich regelmäßig mit seiner Tochter. Er ist beliebt bei den vielen Menschen, mit denen er den Tag verbringt, mit denen er kocht und isst, und Fußball spielt.
Silvia scheint sehr viel früher erkrankt zu sein. Sie berichtet von einem Jahr als Au-Pair-Mädchen in London, wo sie krank geworden sei, weil es ihr zu gut ging. Dieser ersten manischen Phase folgen viele weitere; sie hat einen Abschluss als Diplom-Kauffrau und hat sich inzwischen mit einem Büro-Service selbständig gemacht. Silvia ist immer wieder in der Psychiatrie. Sehr offen berichtet sie, wie auffällig sie dann sei, und dass sie fast immer fixiert werden müsse. Ihr Ehemann lernte sie kennen, als sie bereits um ihre Krankheit wusste; das Paar scheint sich arrangiert zu haben. Silvia ist ein selbstbewusste Frau mit einer fast resoluten Ausstrahlung – und doch spürt man ihre Empfindsamkeit. Sie malt mit großer Leidenschaft Bilder und trifft sich mit Freundinnen. „Kranke Seelen sieht man nicht“ konzentriert sich ganz auf den gewaltigen Umbruch, den die Krankheit für das Leben der beiden Hauptdarsteller bedeutet. Er zeigt die Tragik, gleichzeitig aber auch die Chance, die viele neue Konzepte den Betroffenen bieten: Selbsthilfe, Psychoedukation, Empowerment und das ganze Simsalabim einer konsequent umgesetzten Sozialen Psychiatrie.
K. Stamer beschreibt den Entstehungsprozess: "Es hat einige Zeit und Mühe gekostet, geeignete Personen zu finden, die sich bereit erklärten, das gefilmte Material dann später einer breiteren Öffentlichkeit zu zeigen. Auch wenn das Filmen selbst im kleinen Rahmen geschehen sollte, gehörte doch viel Mut dazu, sich in dieser Weise zu öffnen. Die Einschätzung, dass die Interviewpartner zur Zeit psychisch stabil waren, hatte absolute Priorität. Dass sie unterschiedliche Bewältigungsstrategien für ihre Krisen entwickelt hatten, war ebenso von Vorteil.
Da wir ergebnisoffen bleiben wollten, war das ganze Projekt ein Schritt ins Ungewisse und erforderte auch von der Leitungsebene der Einrichtung Mut (für Zeit und Geld): Was würde bei den Interviews herauskommen und ließe es sich so zusammenschneiden, dass nachher ein interessanter Film entsteht? Nach der anfänglichen Idee „Nur ich und die Kamera“ haben wir uns glücklicherweise für einen Profi an der Kamera entschieden, allerdings mit ganz kleinem Besteck, ohne extra Tonmann und Beleuchter, um die persönliche Atmosphäre nicht zu gefährden. So habe ich die Gespräche geführt und der zweite Mann hat sich hinter seiner Kamera versteckt.
Die Interviews wurden jeweils bei den Beteiligten zu Hause aufgenommen, dazu noch einige ergänzende Aufnahmen aus ihrem jeweiligen Umfeld. Für jedes Portrait wurde ein Drehtag (ca. 6 Stunden) benötigt, was von den Betroffenen von der psychischen und physischen Belastung als grenzwertig erlebt wurde. Ergänzende Filmaufnahmen, insbesondere die Subjektiv-Einstellungen, die das Erleben des Erzählenden darstellen sollten, konnten dann unabhängig und ohne die Interviewten durchgeführt werden. Geschnitten wurde das Filmmaterial dann im professionellen Schnittstudio des Kameramannes.“
Diese DVD ist nicht zuletzt wegen ihrer Kürze und der hohen Qualität von Bild, Schnitt und Ton für den breiten Einsatz – auch bei jüngeren Schülern und Auszubildenden geeignet. Diskussionen werden angeregt. Der Film beschönigt nicht, und baut trotzdem Vorurteile ab. Und nicht zuletzt mag er dazu anregen, im eigenen Projekt etwas ganz ähnliches zu wagen: Den Experten aus Erfahrung endlich eine Hauptrolle zu geben.
Ilse Eichenbrenner
Letzte Aktualisierung: 12.06.2024