Mia ist eine schöne junge Studentin und Poetry-Slammerin. Der Film zeigt ihre kleine Wohnung im Hinterhaus und lässt uns ein wenig in den chaotischen Alltag einer jungen Szenefrau blicken. Mia ist überglücklich, als sie einen kleinen Job als Synchronsprecherin einer japanischen Anime-Serie erhält. Im Zentrum der Clips steht Kimiko, ein Mädchen mit Superkräften. Sie bekämpft ein Monster, das die Welt mit elektrischem Strom und Wlan vernichten will. Kimiko agiert mit Kampfbewegungen, schwebt über Tokios Dächern und trägt einen Edelstein auf der Stirn.
Mia rennt zwischen dem Synchronstudio, ihrem Job in einer Bar und ihrer Wohnung hin und her. Sie schläft nicht mehr, und ist zunehmend der Meinung, sie könne ganz ähnlich wie Kimiko die Welt retten. Sie macht an ihrem Sicherungskasten herum und verwandelt sich auch äußerlich immer mehr: mit blauer Perücke, einem gelben Zottelmantel und dem tropfenförmigen Zeichen auf der Stirn wird sie zu Kimiko. Da sie mit niemandem ihr Glück teilen kann belästigt sie Kristof, einen antriebsarmen Verlierertypen, der im Erdgeschoss haust und unentwegt raucht. Es gibt eine schöne kleine Szene auf einem U-Bahnhof, wo neben Kristof und Mia unentwegt ein Mann hin- und her läuft. Als die UBahn einfährt wirft sich Mia auf ihn. Sie hat gespürt, dass er sich suizidieren wollte und wird nun zur Heldin auf der Titelseite der Zeitungen.
Das feuert sie nur noch mehr an. Sie rast weiter umher, hat Sex mit ihrem Produzenten und wird immer ruheloser. Sie klaut sein Auto und fährt mit Kristof zu ihren Eltern, wo der im Sterben liegende Vater Geburtstag hat. Es gibt Streit, Mia reißt das Beatmungsgerät des Vaters heraus und nimmt es mit auf ihrer rasanten Rückfahrt mit Kristof. Die Handlung eskaliert weiter, die Polizei wird gerufen, doch Mia entkommt und fährt mit einem Boot zu einem Kraftwerk, das in ihrem Wahn eine zentrale Bedeutung hat, und wo es zu einem finalen Countdown kommen soll. Erst nach ihrer dramatischen Rettung zeigt ein Blick in ihre Wohnung, dass sie längst in einem anderen Universum gelebt hat.
„Electric Girl“ ist ein eigenartiger Film. Die Handlung macht durchaus Sinn, der Übergang von Animation zur Realität ist reizvoll und der Film könnte deshalb vor allem junge Zuschauer ansprechen. Die Übergänge zwischen den gezeichneten und realen Welten sind überaus gelungen, auch die Musik fasziniert. Befremdlich, ja misslungen ist aber die völlig unbeteiligte, wenig empathische Figur der jungen Mia – was nicht der Schauspielerin sondern dem Drehbuch anzulasten ist.
Mia ist nachvollziehbar in eine Manie gerutscht; der Zuschauer kann sich aber weder mit ihr identifizieren – also ebenfalls glücklich sein – noch empfindet man Mitleid. Ich schaute ihr leidlich interessiert zu, und war am Ende nur noch genervt. Am ehesten ist es noch dem abgerockten Kristof überlassen, für seine junge, ausgeflippte Nachbarin Mitgefühl zu entwickeln.
„Electric Girl“ lief immerhin auf dem Max-Ophüls-Festival 2019. Filmknäcke verließ als einzige Zuschauerin an einem der heißesten Tage des Jahres ziemlich unbeeindruckt das Kino. Arte hat koproduziert, also wird der Film im TV zu sehen sein.
Ilse Eichenbrenner in Soziale Psychiatrie
Letzte Aktualisierung: 12.06.2024