Die psychiatrischen Anstalten sind längst aufgelöst, seit 2015 eigentlich auch die forensischen Kliniken. Vor der alten „Villa Biondi“ in der Toskana steht ein blaues Pferd aus Pappe namens Marco Cavallo. Nicht jeder im Kino wird diese Anspielung verstehen, aber für uns ist es ein geheimes Zeichen.
Maria ist wunderschön, und schreitet mit ihrem Sonnenschirm das Gelände dieser therapeutischen Einrichtung ab. Sie ist per Gerichtsbeschluss hier untergebracht, mimt aber die adlige Comtesse, die ihre Dienerschaft beaufsichtigt. Mit blasiertem Tonfall, affektiertem Lachen und untergründiger Gereiztheit trifft die grandiose Schauspielerin Valeria Bruni Tedeschi ihre Rolle als Manikerin haargenau. Eine neue Patientin wird gebracht, die tätowierte unterernährte und düstere Donatella. Maria hat sofort einen Narren an ihr gefressen und es bietet sich die Gelegenheit, das Aufnahmegespräch mit ihr zu führen. Denn Donatella hält Maria für eine Ärztin, und Maria hat die Prozedur offensichtlich häufig genug mitgemacht.
Diese kleine Sequenz genügt, um auf den köstlichen Geschmack des Witzes in diesem Film zu kommen. Man darf häufig lachen, aber mit gutem Gewissen, denn nie geht dieses Lachen auf Kosten der Bewohner oder des therapeutischen Personals. Die Villa ist keine Schlangengrube, sondern eine lebhafte, lebendige Gemeinschaft, in der sowohl das echte Abendmahl mit höchster Emphase eingenommen wird, als auch das nächtliche Imitat, bei dem Maria als Surrogat für den Leib Christi nicht Oblaten, sondern Tranquilizer verabreicht. Maria und Donatella teilen sich ein Zimmer, wobei die eine eher mehr schläft, und die andere eher wenig. Nächtliche Handystreiche bei Vormundschaftsrichtern sind eines ihrer Hobbies. Nach anfänglichem Misstrauen werden Maria und Donatella ein gutes Team, vor allem bei der Gartenarbeit. Maria gibt Anweisungen, Donatella setzt um.
In der Teamsitzung wird deshalb beschlossen, das Duo in eine gewerbliche Gärtnerei zu delegieren. Zunächst nutzt Maria die Gelegenheit nur zu einem heftigen Flirt, doch dann ergibt sich die wunderbare Gelegenheit zu einer kleinen Flucht. Es geht nun mit unterschiedlichen Vehikeln und Gefährten kreuz und quer durch die Toskana, wobei allmählich Donatellas Delikt in den Vordergrund gerät. Sie hat vor Jahren versucht sich gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn zu ertränken, doch beide wurden gerettet. Sie war deshalb in einer forensischen Klinik, und nach einem aktuellen Zwischenfall beschließt die zuständige Richterin, dass sie dorthin zurückkehren muss. Hier sehen wir nun tatsächlich einen antiquierten Wachsaal in einer geschlossenen Anstalt, doch Maria hat inzwischen den Tresor ihres Ex geräumt, so dass Donatella das Wachpersonal bestechen und fliehen kann.
Auf den Spuren von Thelma und Louise rasen die beiden weiter; Donatella will unbedingt ihren Sohn sehen, und in einer berührenden Szene geht sie mit ihm ein paar Schritte ins Meer, atemlos beobachtet von dem Ehepaar, das den Jungen inzwischen adoptiert hat. Zunächst wird Maria in die Villa zurückgebracht, wo sie besorgt aus dem Fenster schaut, bis auch Donatella endlich wohlbehalten eintrifft.
Wenn ich den englischen Text auf dem schnellen Abspann richtig verstanden habe, so sind zwar die forensischen Kliniken in Italien per Dekret seit 2015 geschlossen, für ca. die Hälfte aller Insassen habe man aber noch keine andere Möglichkeit der Unterbringung gefunden.
„Die Überglücklichen“ ist ein rasanter, romantischer Spielfilm, immer psychiatrie-politisch korrekt und dabei konsequent anarchisch. Das Drehbuch ist durchdacht und konstruiert. Die beiden psychisch kranken Frauen sind bei ihrem Roadtrip in keinem Moment wirklich gefährlich. Die Zeche geprellt und geklaut wird nur bei den Reichen. Gleichzeitig wird mit dem erweiterten Suizid der unglücklichen Donatella die heitere Handlung tragisch und ernsthaft grundiert, so dass die psychiatrische Behandlung nicht als Schikane, sondern als angemessene Bemühung gewürdigt wird.
Es ist dem zauberhaften Spiel der großen Mimin Bruni Tedeschi zu verdanken, dass der Film trotz aller Berechnung im Sommerwind flattert und nach Oleander riecht. Deshalb verordne ich der Psychiatriegemeinde „die Überglücklichen“ gegen den Winterblues.
Ilse Eichenbrenner
Letzte Aktualisierung: 12.06.2024