Mit einem Schwarz-Weiß-Film wurde auf der diesjährigen Berlinale die Reihe Panorama eröffnet. Jana Hepnarová ist eine historische Gestalt; sie war der letzte Mensch, bei dem in der CSSR die Todesstrafe vollstreckt wurde. Der Film beruht auf historischen Ereignissen. Der Fall Hepnarová ist gut dokumentiert; das Drehbuch der beiden Regisseure basiert auf Gerichtsakten, ärztlichen Befunden und vielen Briefen.
Olga Hepnarová wächst in den fünfziger Jahren in einem engen, bürgerlichen Milieu auf. Vieles erinnert an die beklemmende Spießigkeit in deutschen Familien, wie sie oft als Hintergrund der RAF-Generation beschrieben wurde. Der Film setzt ein, als das junge, fast autistische Mädchen gegen seine Umwelt rebelliert. Sie verweigert die Nahrung, sie verletzt sich, sie schreibt unentwegt in ihr Tagebuch und sie versucht, sich zu suizidieren. Olgas Mutter ist Ärztin, sie weist ihre Tochter in eine geschlossene Anstalt ein, wo sie von ihren Mitpatientinnen misshandelt wird. Olga hat kaum soziale Kontakte; sie fühlt sich rasch ausgestoßen und abgelehnt und gerät schon früh in eine Spirale von Kränkung und Zurückweisung. Das hübsche burschikose Mädchen raucht unentwegt, scheu huscht ihr Blick hin und her.
Zeitweise ist sie schwer depressiv, dann wieder hyperaktiv und sie entdeckt ihre Liebe zu Frauen, und macht erste, hektische sexuelle Erfahrungen. Schließlich zieht sie in eine abgelegene Hütte, in der sie im Winter fast erfriert. Dann bezieht sie ein Zimmer im Wohnheim des Betriebs, in dem sie eine Ausbildung als Kraftfahrerin macht. Sie hat eine stürmische Liebesbeziehung mit einer jungen Frau, die sie dann doch wieder zurückweist. Nach weiteren emotionalen Turbulenzen fährt die 22jährige Olga Hepnarová am 10.Juli 1973, am Steuer eines LKWs sitzend, in eine Menschenmenge und tötet acht Passanten, zwölf weitere sind verletzt.
Zwei Tage vor der Tat hat sie ein Bekennerschreiben verschickt, das erst Tage danach bei den Zeitungen einging. In diesem Schreiben gibt sie als Grund die Zurückweisung durch die Gesellschaft an. Im Rahmen des Verfahrens wird die Hepnarová ausführlich von Psychiatern exploriert, und erstmals scheint ihr jemand wirklich zuzuhören. Sie berichtet von Stimmen und Beeinflussungen – offensichtlich leidet sie an einer Schizophrenie. Gutachter erklären sie für voll und ganz verantwortlich. Am 12. März 1975 wird sie gehängt.
In ihrem Schlußplädoyer vor Gericht benutzt sie mehrfach das deutsche Wort „Prügelknabe“ um ihre Position innerhalb der Gesellschaft zu beschreiben. Nun endlich spricht sie mit klarer, fester Stimme: „Ich bin eine Einzelgängerin. Ein zerstörter Mensch. Ein von den Menschen zerstörter Mensch. Ich habe die Wahl – mich zu töten oder andere zu töten. Ich wähle – die Rache an denen, die mich hassen. Es wäre zu einfach, diese Welt als unbekannte Selbstmörderin zu verlassen. Die Gesellschaft ist zu gleichgültig, zu Recht. Mein Urteil ist: Ich, Olga Hepnarová, das Opfer eurer Bestialität, verurteile sie zum Tode.“ (Quelle: Wikipedia)
Die junge Patientin und spätere Attentäterin bleibt vermutlich nicht nur mir eigenartig fremd; mit ihren raschen Stimmungswechseln und willkürlichen Reaktionen taugt sie nicht zur Identifikation. Auch im Kino erleben wir ja das Phänomen der Gegenübertragung: Meine Abscheu schien mir ein Hinweis auf eine schwere Persönlichkeitsstörung.
Aber auch keine der anderen Protagonistinnen lädt zur Empathie ein: Mutter, Vater, ja sogar die Freundinnen wirken kühl und distanziert, nur einige junge Männer strahlen eine herbe Zuneigung aus. Ob dieses subtile Porträt einer Amokläuferin in einer sozialistischen Gesellschaft in deutsche Kinos gelangen wird war nicht zu klären.
Ilse Eichenbrenner
Letzte Aktualisierung: 12.06.2024