Na, ihr Flitzpiepen? So begrüßt Betreuerin Gudrun ihre Klienten in der Therapeutischen Wohngemeinschaft. Es ist eine Drogen-WG, Abstinenz ist die Hauptsache, sogar der Zucker im Espresso ist obsolet. Medikamente scheinen keine Rolle zu spielen. Männer und Frauen sitzen im sogenannten Plenum um den Runden Tisch und rauchen, rauchen, rauchen. Sozialpädagoge Werner Meyer (Arne Mädel) muss zur Supervision, aber ungern. Karl, früher mal bekannt als Charlie ist einer der ehemaligen Psychiatriepatienten in dieser Runde. Haben ihn die Drogen verrückt gemacht? Das weiß man nicht so genau, meint er selbst. Aus Sicht seiner Mutter seien die Drogen schuld, denn wenn die es nicht gewesen wären, dann habe die Mutter ein Problem. Klapse oder Klapper? „Klapper“ gefalle ihm besser, meint Charlie sehr viel später, als er einer schönen jungen Frau von Ochsenzoll erzählt. „Klapse“, das höre sich so endgültig an, wie Klappe zu, Affe tot. Ihr versucht er auch zu beschreiben, wie sich der Irrsinn anfühlt, aber das gelingt ihm nicht wirklich.
Karl arbeitet als Hausmeister in einem Kinderkurheim, vermutlich so eine Art Zuverdienst, aber er soll endlich mal Urlaub machen. Eigentlich hat er schon gepackt für die Lüneburger Heide, da trifft er seinen alten Bandkollegen Raimund (Marc Hosemann) und später folgt ein Anruf von Ferdi aus Berlin. Und das ist jetzt der Moment, wo man Detlev Buck einführen muss, der damals in der Verfilmung von Sven Regeners Roman „Herr Lehmann“ am Tag vor der Wende nach mehreren Tagen ohne Schlaf in der Notaufnahme des Urbankrankenhauses landete. Damals also der hinreißende Detlev Buck als psychotischer Skulpturen-Schweißer Charlie, jetzt mindestens ebenbürtig Charly Hübner in der Fortsetzung als eben dieser Karl, dafür nun Detlev Buck als Chef einer Truppe von Techno-Musikern, oder DJs, oder Ravern, oder wie immer man dieses monotone Gewummere der Neunziger nennen will. Detlev Buck alias Label-Chef Ferdi ruft Charlie in der WG an, und fordert ihn auf, wieder nach Berlin zu kommen. Man brauche ihn.
Statt zur Kur in die Lüneburger Heide fährt Charlie nun also zu BummBumm-Records in die Hauptstadt, und legt sich irgendwo in einem bröckelnden Loft auf ein Feldbett. Ferdi erklärt bei asiatischer Nudelsuppe: Nachdem man für die BummBumm-Mucke mit Geld zugeschissen wurde wolle man wie die Beatles auf eine Magical Mystery-Tour. Nicht nur Kohle, nein auch die Seele sei wichtig. Liebe eben, der Spirit, come together. Den passenden Tourbus gibt es schon, nun braucht man nur noch einen wirklich nüchternen Fahrer. Charlie mit seiner nunmehr fünfjährigen Abstinenz und vielleicht auch wegen seiner überragenden Statur ist der richtige. Also fährt man nach Bremen, nach Köln, nach München, nach Essen und nach Hamburg und nächtigt entweder überhaupt nicht oder in den Filialen einer finnischen Hotelkette, „die mit dem Elch“. Es gibt Auftritte in kleinen oder großen Clubs, in riesigen Hallen und einmal sogar bei der Behinderten-Disco in Schrankenhusen-Borstel. Charlie wächst mit seinen Aufgaben. Er bleibt stoisch, freundlich und meistert als erfahrener Hausmeister jedes auch noch so abstruse Problem. Ab und zu – aber das kriegen nur wir Zuschauer mit – spaziert er an der Peripherie einer Psychose.
Wenn es ihm zu viel wird, wenn ihm alles um die Ohren fliegt oder das Stroboskop zu sehr flackert dann zieht er sich zurück oder halluziniert. Er hat eine Menge Tricks auf Lager, um seine kleinen Krisen zu managen. Die einzelnen Typen der magisch-mysteriösen Busbesatzung erhalten im Lauf der kleinen Tournee ein eigenes Profil. Man kann sie schließlich unterscheiden, die beiden jungen Dödel mit den Meerschweinchen, die DJanes („Ich bin Siggi“) und die chronisch zugeknallten Senioren. Es ist schön zu verfolgen, wie Charlie mit seinen langen Zotteln und seiner Bärentapsigkeit ganz langsam vom Trottel zum geliebten Herbergsvater aufsteigt.
Er findet immer eine Lösung, er achtet auf ausreichenden Schlaf und regelmäßige Mahlzeiten und nach einer Knutscherei mit der schönen Rosa schöpft er ganz vorsichtig Hoffnung auf ein Leben nach der WG, in Berlin. Man solle eigentlich nicht irgendwohin, wo man schon mal weg sei, meint er bei der Fahrt über diesen ätzenden Kudamm. Aber er kenne doch die andere Hälfte der Stadt noch gar nicht, also sei doch alles neu, meint jemand. Auch wieder richtig. Besonders schön der Abspann mit der langen Latte von Credits und den Gestalten auf der Leinwand mit fuchtelnden Armen und Beinen, dem Gehoppel und Gestampfe. Da muss man ganz kurz an Paul Kalkbrenner denken, der in „Berlin Calling“ ja eine ganz andere Technoinduzierte Psychose präsentierte. Techno spricht man übrigens nicht Tekkno aus, das bringt uns Detlev Buck alias Ferdi bei, der auch immer wieder mal fordert, man solle sich doch eine kleine Tüte Deutsch kaufen.
Das ist kein Psychiatriefilm. Magical Mystery ist über lange Strecken grottendoof, und dann wieder zum Schlappmachen komisch. Die Szenen in der Wohngemeinschaft sind viel zu kurz. Trotzdem: Ich habe mehrmals (!) laut gelacht, und damit war ich nicht allein. Der Film ist antistatisch, antidepressiv und anti-stigmatisch. Und antik.
Ilse Eichenbrenner
Letzte Aktualisierung: 12.06.2024