Die Sektion „Panorama Special“ ist bei den Berliner Filmfestspielen stets dem ganz besonderen Film gewidmet. „Maladies“ gehörte schon wegen seines Titels– der einen psychopathologischen Blickwinkel versprach – in die engere Auswahl der Berichterstatterin des Psychiatrienetzes.
James, Catherine und Patricia leben gemeinsam in einem alten Haus am Strand. Ist man in den Sechzigern, oder den Achzigern? Fernsehberichte über den Massenselbstmord einer Sekte verweisen auf das Jahr 1978; es könnte aber auch früher oder später gewesen sein.
James hat in einigen TV-Serien gespielt und ist vermutlich verrückt geworden. Er schreibt an einem Roman und wurde in Obhut genommen von einer guten Freundin, der Malerin Catherine, der das schöne Haus gehört. Eingezogen ist nun auch seine Schwester Patricia, die wenig spricht und sich vor allem um ihr exzentrisches Out-Fit kümmert. Es gibt einen schwulen Nachbarn, der ab und zu seine Nase hereinsteckt, weil er an dem hübschen James interessiert ist. Der allerdings sitzt stundenlang am Strand und kritzelt in seinem niemals vollendeten Manuskript herum. Ab und zu hebt er den Telefonhörer ab, denn die Beständigkeit des Freizeichens tröstet ihn ungemein. Ab und zu machen die drei oder vier gemeinsam einen Ausflug. Catherine ist eine Crossdresserin; mit aufgemaltem Schnurrbart und im Herrenanzug wird sie in der örtlichen Konditorei verspottet.
Es gibt wenig Handlung in diesem Film und trotzdem ist einem nie langweilig. Die außergewöhnlich schönen Gemälde an den Wänden werden betrachtet und analysiert; man malt und tanzt und geht spazieren oder kramt in Erinnerungen. Jeder der drei Protagonisten einschließlich des Nachbarn ist auf elegante Art und Weise nicht ganz in der Spur. Man ist schräg oder queer oder ganz schrecklich nervös. James Denken und Fühlen ist merkwürdig und er scheint Stimmen zu hören; er gerät ab und zu in Rage.
Eines Tages zerstört er die Einrichtung seines Zimmers und wirft das Mobiliar aus dem Fenster. Patricia ruft die Polizei, die ihn zu beruhigen versucht und schließlich wegbringt. Diese Einweisungsszene ragt in ihrem Realismus aus der eher elegischen Handlung heraus: Hier hat man sich offensichtlich professionell beraten lassen.
„Carter“ ist ein sehr berühmter amerikanischer Künstler, das war bei der Pressekonferenz zu erfahren; die schönen Bilder hat er gemalt. Das Team schwärmt von den Dreharbeiten in einem alten Haus in Long Beach. Es wurde gestaltet, inszeniert und improvisiert. Carter meint, er habe sich einfach das Verzeichnis aller psychiatrischen Diagnosen der American Psychiatric Association genommen und habe versucht, alle Störungen irgendwie ein bisschen in Erscheinung treten zu lassen. James leide nicht an Schizophrenie, und Patricia sei nicht autistisch. Eben alles ein bißchen.
James Franco habe bei den entscheidenden Szenen ein kleines Mikro im Ohr gehabt, und er habe ihm verquere Anweisungen gegeben – als Stimme im Kopf. Carter hat statt mit Pastellfarben mit Nuancen psychischer Andersartigkeit gemalt und collagiert. Alles sehr hübsch anzuschauen.
Nun gut. Beliebige psychische Störungen als kleine schräge Facetten in einem künstlerischen Ambiente – auch dies mag einen Beitrag leisten zur Anti-Stigmatisierung psychiatrischer Störungen. Für Fans von James Franco (und vielleicht von Carter) ist „Maladies“ ein amüsantes Muss.
Ilse Eichenbrenner
Letzte Aktualisierung: 12.06.2024