Ab und zu gelangen Filme ins Kino, die vorrangig für das Fernsehen produziert werden: Ich vermute mal „Nachtmeerfahrten“ von Rüdiger Sünner kann man schon bald auf dem häuslichen Flachbildschirm konsumieren. Der Film beginnt mit dem Hinweis, dass sich jeden Abend die Kinos und Videotheken mit Menschen füllen, auf der Suche nach Helden mit übernatürlichen Fähigkeiten und Bösewichten und anderen Fantasygestalten. „Sind die Dunkelzonen des Unbewussten verführerischer als das taghelle Bewusstsein?“
Die Kamera schwenkt über die Ufer des Zürichsees nach Bollingen, wo C.G. Jung angeblich viele Monate ohne Strom, im Schein des offenen Feuers und spärlicher Petroleumfunzeln verbracht hat. Der Film liefert nur wenige Details aus der Vita, insbesondere Informationen zur Freundschaft und dem späteren Zerwürfnis mit Siegmund Freud. Die Biografie wird fragmentarisch abgearbeitet; die ideologischen Verstrickungen in die Nazi-Zeit werden ausführlich erwähnt. Ab und zu kommentiert ein Therapeut oder Biograph die einzelnen Phasen: Verena Kast äußert sich zu Siegmund Freud und Sabina Spielrein, Drewermann dazu, dass das Böse nicht länger bekämpft werden darf, sondern integriert werden muss.
Plötzlich taucht sogar Dr. Rasche auf, den ich aus dem Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst unseres Bezirks kenne. Die Stimmen aus dem Off konzentrieren sich ganz auf die Entwicklung der psychologischen Lehre Jungs, mit den Archetypen im Zentrum. Eine Stimme berichtet, eine andere zitiert aus Jungs Werken. „Nachtmeerfahrten“ nannte Jung seine Erkundungen des kollektiven Unbewussten, die ihn in andere Länder und Kontinente führten. Etwas platt bebildert der Film die einzelnen Aussagen: Geht es um afrikanische Geister und Riten, so tauchen Masken und Skulpturen auf.
Ein Traum von einer unterirdischen Höhle wird regelrecht in Natura umgesetzt. Diese Bilder sind teilweise faszinierend, und die Projektion der Blu-ray-disc auf die riesige Leinwand macht auf einmal Sinn. Doch irgendwann ist man der flirrenden Lichter auf waberndem Wasser und der alten Steine müde; die Illustrationen bringen keine neuen Erkenntnisse, sondern untermalen den Text wie die eigens für den Film komponierten Klangbilder.
Ilse Eichenbrenner
Letzte Aktualisierung: 12.06.2024