Die Australierin Rachel Wotton bezeichnet sich ganz selbstbewusst als „Sexworkerin“. Seit 17 Jahren arbeitet sie als Prostituierte, und hat sich in den letzten Jahren auf Kunden spezialisiert, die behindert sind. Sie kämpft für die Rechte der männlichen und weiblichen Sexarbeiter, und für die Rechte der Menschen mit Behinderung auf Sexualität.
Rachel Scott ist eine sehr hübsche junge Frau mit einer sinnlichen Ausstrahlung. Ihr Lächeln ist vermutlich ihr wichtigstes Handwerkszeug. Der Film beobachtet sie in ihrem Privatleben, bei der Arbeit und er begleitet sie auf einer Reise nach Europa. Rachel hat eine Agentur gegründet „touch base“, wo behinderte Menschen einen professionellen Sexpartner buchen können. Privat ist Rachel mit einem Mann liiert, der in Queensland lebt und einen kleinen Sohn hat. Nach Queensland kann Rachel aber nicht ziehen, denn in diesem australischen Bundesstaat ist ihr Gewerbe nicht legal.
Rachel möchte gerne promovieren; den ersten Schritt – den Masterabschluss – erreicht sie im Laufe der Dreharbeiten des Films. Sie reist zu einigen Kongressen nach Europa und verbindet dies mit halbberuflichen Terminen. In London trifft sie sich mit einer Mutter, die vier Pflegekinder, allesamt Jungs, mit Down-Syndrom großzieht. Der älteste möchte gerne eine Sexpartnerin, was die Mutter per Presse kund getan hat. Rachel spricht mit ihr und dem jungen Mann über Sex; ob es beim sprechen bleibt verrät der Film nicht.
Lange Sequenzen sind zwei schwerstbehinderten Männern gewidmet. Besonders ausführlich wird Mark porträtiert; er sitzt im Rollstuhl und kann nur via Computer kommunizieren. Er lebt bei seinen betagten Eltern. Zu seinem Geburtstag wünscht er sich eine ganz Nacht mit einer Sexpartnerin. Er will am Morgen neben ihr aufwachen. Rachel bereitet sich sorgfältig auf diesen Job vor; die Eltern haben lange gespart, und die Mutter rasiert und parfümiert ihren Sohn. Schließlich streut sie Rosenblätter auf das Geburtstagsbett...
Ein wenig gar zu sehr ist der Film ein Werbefilm für die lächelnde Rachel und alle anderen Sexarbeiterinnen geworden. Die Menschen mit Behinderung und ihrem Wunsch nach Sex werden mit diesem Film ein zweites Mal benutzt und vielleicht sogar ausgebeutet. Denn zwischendurch ist zu erfahren, dass Rachel teuer ist, und nicht annähernd so viele Kunden sich ihre Dienste leisten können, wie sie es wohl gerne hätte.
Nach dem Film wird es in der Regel eine Diskussion mit Teilnehmern aus der Region geben. Nach der Vorstellung im Berliner Cinemaxx, das im übrigen nur sehr spärlich besucht war, diskutierte ein Mitarbeiter der Spastikerhilfe mit Matthias Vernaldi von der „Arbeitsgemeinschaft für selbstbestimmtes Leben schwerstbehinderter Menschen e.V. „ und einer sehr klugen und selbstbewussten Frau Klee, von Beruf Sexarbeiterin in Berlin.
Das war enorm interessant und lehrreich. Matthias Vernaldi hat in Berlin die Initiative "Sexybilities" aufgebaut, und ist trotz seiner hochgradigen Behinderung ein witziger und eloquenter Hedonist. Alle Diskutanten sprachen sich entschieden aus dagegen, sexuelle Dienstleistungen über die Kasse oder das Sozialamt zu finanzieren. Sex sei ein Grundbedürfnis und keine Krankheit. Ein wenig mehr Geld in der eigenen Tasche würde natürlich helfen, das wissen auch Männer ohne Behinderung, und Sozialarbeiterinnen.
So wird dieser etwas einseitige aber ungeheuer aufschlussreiche Film in Kombination mit einer guten Öffentlichkeitsarbeit doch noch zu einer Weiterbildung in Sachen Sexualität und Behinderung. Preisfrage: Gibt es in Ihrer Region ein behindertengerechtes Bordell?
Ilse Eichenbrenner
Letzte Aktualisierung: 12.06.2024