Der Schauspieler Klaus Maria Brandauer agiert oft heftig, aufbrausend, dämonisch. Als „Wilhelm Reich“ hätte er in dem Spielfilm „Der Fall Wilhelm Reich“ reichlich Gelegenheit, sein gesamtes Portfolio zu präsentieren. Geht es doch um die letzten Jahre des Psychoanalytikers in den USA, die geprägt waren von Anfeindungen und Gefängnisaufenthalten und Reichs missionarischem Kampf um den Nachweis des Orgons, der Lebensenergie. Doch Klaus Maria Brandauer als Reich ist ein sanfter, zärtlicher Vater, Ehemann und Geliebter, der nicht von den geringsten Zweifeln an seine Ideen geplagt und deshalb vielleicht eigenartig verklärt wirkt.
Antonin Svoboda nutzt die äußere Erscheinung, um Reich als einen Heiligen der Wissenschaft vorzuführen; die treibende Energie der Reichschen Vorstellungen von der der Triebkraft des Lebens schlechthin bleibt also bloße Behauptung, ganz ohne wissenschaftliche Argumentation. Die dahinter liegenden Ideen oder gar Ideologien werden grade mal erwähnt, aber keineswegs differenziert erklärt.
Vielleicht liegt es daran, dass Svoboda bereits 2010 einen Dokumentarfilm veröffentlicht hat, in dem er all dies bereits geliefert hatte: „Wer hat Angst vor Wilhelm Reich“ schildert historische, psychologische und politische Hintergründe und liefert engagierte Aussagen von Epigonen, unter anderem von Willy Brandt oder Prof. Dr. Annelie Keil aus Bremen, die auch in sozialpsychiatrischen Kreisen wohl bekannt ist: Viele von uns haben ja in den sechziger und siebziger Jahren die Raubdrucke der Reichschen Schriften gekauft und konsumiert, die uns über die Zwänge der Kleinfamilie, der Ursprünge unseres eigenen Charakterpanzers und der damit einhergehenden sexuellen Verklemmtheit aufklärten. Zur Aufarbeitung jener Jahre gehört also nicht nur der kritische Rückblick auf politische Irrwege wie RAF und K-Gruppen, sondern auch auf jene Diskussionen an den WG-Tischen und auf den Matratzenlagern.
Doch zurück zum Spielfilm, der sich nicht für derartige Phänomene interessiert. Die Rahmenhandlung liefert die psychiatrische Begutachtung des Häftlings W. Reich durch einen jungen Psychologen, der dessen Schuldfähigkeit erforschen soll. Diese Gespräche bilden die Folie, vor der dann in Rückblicken Reichs Arbeit in den USA geschildert wird, um später dann mit den letzten Lebenskapiteln den Abschluss zu finden.
Reich lebt und forscht mit seiner Ehefrau(Jeanette Hain) und einem gläubigen Team in einem Bungalow mit Laborräumen und baut und vertreibt seine Orgon-Akkumulatoren, zu deren Zerstörung er schließlich verurteilt wird. Aus Europa kommt Eva Reich (Julia Jentsch), eine Tochter aus erster Ehe, die sich der Forschungsgemeinschaft anschließt, während seine Gattin Reich verlässt.
Ein nahe gelegener See lädt zum Baden ein; Reich erfüllt sich seinen Traum „inmitten der Natur das Leben zu erforschen“. Er baut den Cloud-Buster, ein eigenartig simples, mit Röhren bestücktes Gerät, und transportiert ihn- begleitet von seinem kleinen Sohn – in die Wüste, um Regen zu produzieren. Ab und zu scheint ihm das zu gelingen, denn einige Farmer der Umgebung glauben an ihn, andere schießen auf das Schild, das den Weg zu seinem Anwesen markiert.
Immer wieder zeigt der Film Psychiater, allesamt grau und versteinert, in ihren Hörsälen sitzen. Ein psychisch kranker Junge, den zunächst Reich zu therapieren versucht, muss exemplarisch das Elend der orthodoxen Psychiatrie samt Elektroschocks demonstrieren; so besteht der Film vor allem aus dem Kontrast der warmen, ländlichen Bilder der Orgonforschung und der verhärteten Abwehr der grauen Bürokraten der McCarthy-Ära. Reich ist 1957 in der Haft gestorben, nachdem er für psychisch gesund und damit voll schuldfähig erklärt worden war. Der Abspann behauptet, der Leichnam sei nicht obduziert worden. Oder vielleicht doch? Wer im Netz zu recherchieren beginnt stößt auf Jünger und Verschwörungstheorien und wird vermutlich nach einigen Stunden irritiert aufgeben.
Bei der Premiere in Berlin bekannte Regisseur Svoboda ganz offen, er habe einen Propagandafilm gemacht, und seine Freiheiten als Künstler genutzt. Klaus Maria Brandauer schwärmte auf der Bühne von dem tollen Gefühl, am Cloud-Buster zu stehen, und – wenn auch nur künstlichen – Regen auf sich prasseln zu lassen. Der Saal war gut gefüllt mit Körperpsychotherapeuten und Anhängern unterschiedlichen Alters. Am Ausgang bekam man einen Flyer der Wilhelm-Reich-Gesellschaft in die Hand gedrückt. Und keiner, wirklich keiner hatte Angst vor dem sanftmütigen Wilhelm Reich.
Ilse Eichenbrenner
Letzte Aktualisierung: 26.07.2024