Der französische Spielfilm „Ziemlich beste Freunde“ war unglaublich erfolgreich und zog eine ganze Welle von „komischen“ Behindertenfilmen nach sich. Nun haben die beiden Filmemacher Eric Toledano und Olivier Nakache einen weiteren Film in die Kinos gebracht. Da war erstmal Skepsis geboten. Doch diesmal meinen es die beiden ernst, obwohl auch „Alles außer gewöhnlich“ ungeheuer komisch ist. Die zugrunde liegende Story ist authentisch, und dem begabten Duo offensichtlich ein persönliches Anliegen. Wenn die Angaben im Presseheft stimmen, dann ist wirklich alles wahr und hat sich so oder so ähnlich zugetragen.
Auch in Frankreich gibt es Systemsprenger: schwerstbehinderte Menschen, für die offensichtlich außerhalb der Psychiatrischen Kliniken kaum geeignete Plätze aufgebaut wurden. So hat sich eine Art Schattensystem gebildet: Kleine Projekte, die mehr oder weniger geplant und kontrolliert mit unausgebildetem Personal diese Klientel aufnehmen und betreuen. Im Film handelt es sich ausschließlich um Autisten; manche von ihnen sprechen nicht; einige sind unberechenbar und schlagen unvermittelt zu; andere tragen wegen ihrer selbstverletzenden Tendenzen einen Helm. Es tauchen aber auch weniger beeinträchtigte Klienten aus dem Spektrum der Autismusstörungen auf, die durch Zwänge, Ängste oder eigenartige Rituale auffallen.
Während es bei den Schwerstgestörten vor allem um die Frage eines Wohnplatzes geht wird für die anderen ein einfacher Arbeitsplatz oder ein Freizeitangebot gesucht, auch zur Entlastung ihrer Angehörigen. Seinen Unterhaltungswert gewinnt der Film über die Beobachtung des Projektleiters Bruno im Umgang mit dem autistischen Benjamin. Der will ständig wissen, ob man seine Mutter hauen darf. „Nein“, sagt Bruno.Benjamin möchte unbedingt die Socken seiner Gesprächspartner sehen – kein Problem. „Darf ich meinen Kopf an Deine Schulter lehnen? „Ja, du darfst“. Weil Benjamin eine gewisse Affinität zu Waschmaschinen hat, deren Drehbewegungen ihn beruhigen, darf er ein Praktikum in einem passenden Betrieb machen. Seine Fragen (hauen, Socken, anlehnen) kommen hier natürlich nicht gut an.
Für uns als Profi und Zuschauer sind das Bagatellen; Brunos Chef ist nach einigen Tagen entnervt und beendet das Praktikum. Diese Episoden um einzelne Behinderte sind realistisch und amüsieren zugleich; daneben allerdings geht es um gravierende Probleme psychiatrischer Versorgung. Das Wohnprojekt gerät in den Fokus einer Aufsichtsbehörde, vergleichbar mit unserer Heimaufsicht. Aus fachlicher Sicht sind die Zustände kritisch, wenn nicht unhaltbar. Die Schließung der Einrichtung droht.
Zwei Sätze durchziehen den Film, quasi als Running Gags: „Wir finden eine Lösung“ blökt Bruno bei jeder Anfrage ins Telefon, auch wenn ihm das Wasser schon bis zum Hals steht. „Da fehlt nicht mehr viel“ ist sein Kommentar, wenn Benjamin mal wieder in der Metro die Notbremse zieht.
Der Film erzählt viel auf einmal und hat ein irres Tempo. Es geht um Freundschaft, um Angehörige, um Toleranz und um Leidenschaft. Denn die beiden Protagonisten kümmern sich nicht nur leidenschaftlich um ihre behinderten Klienten, sondern auch um die benachteiligten Jugendlichen, die für ihren ersten Betreuungs-Job erstmal einige Sekundärtugenden entwickeln müssen.
„Alles außer gewöhnlich“ ist ein ungeheuer berührender Spielfilm, hart und weich zugleich und unbedingt zu empfehlen.
Ilse Eichenbrenner
Letzte Aktualisierung: 26.07.2024