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Psychiatrie Verlag

Swallow

Von Sartre stammt der kluge Satz, „Die Hölle, das sind die anderen“. Der Film „Swallow“ könnte den Satz noch etwas ergänzen: „Die Hölle, das sind die anderen, in deren Tod Du nicht vorkommst.“

Hunter ist die Ehefrau von Ritchie, einem erfolgreichen Geschäftsmann, der kurz davor ist, von seinem Vater ein Großunternehmen zu übernehmen. Während ihr Mann die meiste Zeit abwesend ist, um das geschäftliche Erbe anzutreten, ist Hunter damit beschäftigt, die Kissen auf der Designer-Couch zu drapieren und ihrem Mann Haut Cuisine zuzubereiten. Ritchie, der aus dem Katalog einer Männermodell-Agentur entstiegen zu sein scheint, kommt abends nach Hause und gibt sich als galanter und vermeintlich liebevoller Ehemann.

Hunter erwartet ein Kind und erhält von ihrer Schwiegermutter Ratschläge, wie sie Schwangerschaft und Wochenbett gut übersteht. Dem Zuschauer dämmert immer mehr, dass es ihr nicht um ein menschliches Interesse geht, sondern darum, ihrem Sohn möglichst ohne Zwischenfälle die Vaterschaft zu ermöglichen. Gleichzeitig beginnt Hunter Gegenstände zu verschlucken und nach dem Ausscheiden fein gesäubert auf dem Schminktisch aufzureihen. Hier bleibt „Swallow“ ästhetisch clean, Ausscheidungen bekommen die Zuschauer nicht zu sehen. Die sichtbaren Blutspuren als Folge des Verschluckens der spitzen und scharfen Gegenständen erscheinen fast als einziges menschliches Zeichen und steigern die Obszönität der gestalterisch durchgeplanten Wohnung umso mehr.

Irgendwann muss Hunter ins Krankenhaus, in dem die verschluckten Gegenstände entfernt werden. In der Folge wird ihr ein Pfleger zur Seite gestellt. Dieser macht zu Beginn eher den Eindruck eines unseriösen Personenschützers, hilft ihr aber später dabei zu fliehen, als ihr Mann und die Schwiegereltern versuchen, sie von einer stationären Behandlung zu überzeugen. Hunter flüchtet und in einem Telefonat zwischen Hunter und ihrem Mann wird deutlich, wie emotional verroht er tatsächlich ist. Während der Film sich zunächst sehr viel Zeit nimmt, die Enge und Kälte in der Ehe von Hunter und Ritchie zu verdeutlichen, überschlagen sich die Ereignisse nun. Hunter trifft ihren leiblichen Vater, zu dem es eine verstörende Vergangenheit gibt, und entkommt letztlich aus dem goldenen Käfig ihres Mannes und seiner Familie.

„Swallow“ wird als Thriller angekündigt und ist vielmehr eine Kritik an elitären Milieus, in denen eigentlich völlig überkommende Rollenklischees noch gelebt werden. In diesem Milieu spielt die Biografie von Hunter keine Rolle, sie hat Aufgaben zu erfüllen, darüber hinaus besteht kein menschliches Interesse an ihr. Die filmische Erzählung ist dabei so konsequent, dass Hunter noch nicht mal ihrer Therapeutin trauen kann, weil diese ihrem Mann als zahlenden Auftraggeber zugesichert hat, ihm die Gesprächsinhalte lückenlos offen zu legen. Ein beklemmender und sehenswerter Film mit einem bemerkenswerten Spannungsbogen, der aber nicht im Detail die Erkrankung seiner Protagonistin auserzählt, sondern diese aufgreift, um sie in eine packende Gesellschaftskritik einzubinden.

Ilja Ruhl in Soziale Psychiatrie

Letzte Aktualisierung: 08.11.2024