Tung wird aus der Nervenklinik entlassen. Sein Vater muss noch eine Erklärung unterschreiben, dass er sich um ihn kümmern werde. Die Wohnung der Mutter sei aufgelöst, meint der Vater, und fährt mit dem Sohn in seine neue Behausung: Ein winziges Zimmer mit einem Stockbett in einer Gemeinschaftswohnung. Tung ist ein gutaussehender junger Mann mit einer bipolaren Störung; er war als Börsenmakler berufstätig und hat offensichtlich bessere Zeiten erlebt. Der Vater, ein untersetzter und gutmütiger Mann in den Sechzigern ist LKW-Fahrer.
Die beiden ernähren sich von Take-Away- Mahlzeiten. Tung ist angewidert von der schäbigen Umgebung, freundet sich aber mit einem kleinen Jungen an. Die Gemeindeschwester ruft an: Ob alles o.k. sei? Der Vater achtet auf die Medikamenteneinnahme, doch auf dem Klo spuckt Tung die angesammelten Tabletten wieder aus. Der Film verharrt in diesem kleinen Zimmer; erst allmählich dehnen sich Zeit und Raum aus. Zunächst verwirren die Rückblenden. Tung hat sich um die kranke Mutter gekümmert; er war verlobt und wollte heiraten.
Er ist auf den Spuren seiner Vergangenheit und wird dabei immer wieder auffällig. So besucht er ohne Einladung die Hochzeit eines alten Freundes, ergreift das Mikro und outet sich als bipolar. Er wird als Irrer verspottet. Er trifft sich mit seiner ehemaligen Verlobten, die seine Schulden übernehmen musste. Sie hat sich einer freikirchlichen Gemeinde angeschlossen und nimmt Tung zu einem Gottesdienst mit, bei dem für ihn gebetet wird. Er rennt weg. Während Tung mit seinen abrupt wechselnden Stimmungen auch für den Zuschauer unberechenbar bleibt schließt man den Vater ins Herz. Zunehmend verzweifelt versucht er, seinen Sohn zu Medikamenten und regelmäßigem Essen zu bewegen und ihm Zuversicht zu geben. Er kümmert sich fürsorglich.
Er gerät an eine Selbsthilfegruppe für die Angehörigen von psychisch Kranken. Sie wollen vor allem die erneute Aufnahme ihrer Angehörigen in eine Nervenklinik erreichen. Die meisten fühlen sich überfordert. Doch auch in Hongkoch scheint zu gelten: Ohne akute Selbst-oder Fremdgefährdung gibt es keine Zwangseinweisung. Schließlich rotten sich die Hausbewohner zusammen und fordern den Auszug von Vater und Sohn. Sie haben Angst. „Man kann nicht alles aussortieren“, sagt der hilflose Vater immer wieder.
Westlichen Zuschauern bietet der detaillierte Blick in den Mikrokosmos eines Hongkonger Miethauses eine neue Perspektive. Auch die schwierige politische Situation der Enklave wird angedeutet. Die Probleme psychisch Kranker und ihrer Angehörigen erweisen sich jedoch als grenzenlos und global. Vieles könnte sich genauso in einer deutschen Familie abspielen. Zentrales Anliegen des Regisseurs ist das Phänomen der Stigmatisierung. Dabei vermeidet er eine plumpe Parteilichkeit. Dieser mehrfach ausgezeichnete Film ist vor allem dank der hervorragenden Darsteller berührend und spannend. Eine persönliche Anmerkung: Filmmusik nervt mich immer häufiger – auch hier.
Ilse Eichenbrenner in Soziale Psychiatrie
Letzte Aktualisierung: 06.11.2024