Die kanadische Filmemacherin Kalina Bertin hat einen Dokumentarfilm über ihre Familie gedreht. Er ist bisher nicht in deutscher Sprache aber dafür problemlos auf Vimeo verfügbar. Wir erleben die Mutter der Filmemacherin und die beiden Geschwister im gemeinsamen Haus in unterschiedlichen Phasen. Felicia malt in ihrem vollgekramten Zimmer, Francois wird manisch, kifft und malträtiert das Klavier. Dann wirft er mit Küchenmessern und wird zwangseingewiesen. Die Regisseurin macht sich auf die Suche nach ihrem Vater, der ebenfalls an einer bipolaren Störung gelitten haben soll. Er hatte wechselnde Identitäten und Familien.
Als Betrüger, aber auch als spiritueller Guru lebte er in der Hippie-Ära in der Karibik und zuletzt in Thailand, wo er 2006 von einer seiner Frauen erstochen wurde. Bertin hat alte Filmschnipsel montiert, und interviewt eine ihrer vielen Halbschwestern und deren Mutter, eben jene Täterin. Der Vater der Filmemacherin hatte insgesamt 15 Kinder. Diese Story ist natürlich spektakulär, und man wird als Zuschauer ein wenig zum Voyeur. Zum Phänomen „Bipolare Störung“ hat der Film neben einigen Szenen aus dem harten Alltag der Angehörigen vor allem den Hinweis auf die Bedeutung der Familiengeschichte beizutragen.
Durch einige Städte wandert zurzeit die dazu gehörige Video-Installation „Manic“, ebenfalls von Kalina Bertin. Auch in Berlin gab es eine Woche lang die Möglichkeit, bei der Schering-Stiftung Virtual-Reality zu erleben. Man bekam eine jener merkwürdigen Brillen aufgesetzt, die mich immer an eine Schweißerbrille erinnern, dazu Kopfhörer und jeweils einen Controller in die Hand. Die Inszenierung dauerte 20 Minuten, und soll das subjektive Erleben in einer bipolaren Störung imitieren.
Zunächst fand ich mich in einem Zimmer wieder, dann war ich plötzlich im Weltall und es schwebten bizarre Strukturen durch die Luft, die ich mit den Controllern manipulieren konnte. Es öffnete sich ein Wald, ich bewegte mich auf Blättern und auf einer Lichtung stand plötzlich eine Badewanne. Zum Abschluss fand ich mich in einer abgewrackten Isolierzelle wieder. In den Kopfhörern war (natürlich auf englisch) die Stimme der Filmemacherin zu hören, die von den Erlebnissen ihrer an einer bipolaren Störung leidenden Geschwister berichtet.
Ich war mir extrem unsicher, ob ich nun tatsächlich einen manischen Höhenflug und den depressiven Absturz erlebt hatte. Ich war komplett überwältigt, tippe aber eher auf einen LSD-Trip. Sollte „Manic“ auch in Ihre Stadt kommen – nicht verpassen!
Ilse Eichenbrenner
Letzte Aktualisierung: 12.06.2024