Bei der Sichtung des über zweistündigen Kinofilms »Shampoo Shampoo« habe ich mich zunächst ungeheuer angestrengt, die unterschiedlichen Schrägheiten der Crew ja nicht zu beachten. Ich wollte sie bewerten wie jeden anderen Menschen auch. Nennt man das Normalitätsprinzip? Wie gesagt, das war ziemlich anstrengend. Der Plot sei hier nur angedeutet: Die junge, extrem hübsche Lou Hendrix ist promovierte Biochemikerin und Heilpraktikerin. In ihrem Salon »Ramona« behandelt sie Kunden mit einer personalisierten Kopfwäsche; dazu verwendet sie Shampoos, die sie zusammen mit ihrem Assistenten Godo aus den Pflanzen ihres Gartens hergestellt hat. Ekzeme verschwinden, die Kopfhaut heilt, die so Behandelten fühlen sich wunderbar. Im Hinterzimmer gibt es »Offenen Dialog« und Peerberatung. Sie sind die Guten. Der Salon wird bekämpft von den bösen Agenten des Konzerns »Pont 1843«, der weltweit ein gleichnamiges Shampoo vertreibt. Inhaltsstoffe und Wirkung sind nicht ganz klar, obwohl das Shampoo systematisch an Gruppen von Probanden getestet wird. Die Rede ist von »Serotoninwiederaufnahmehemmern«, und diese führen im Laufe der Handlung zu erhöhten Suizidraten. Die in Abständen erfolgende Befragung der Probanden, die in einem Hörsaal über ihre Erfahrungen mit Filmknäcke goes Laptop »Pont 1843« berichten müssen, gehört zu den Highlights des ganzen Films – finde ich.
Nach einem Drittel der Lauflänge wechsle ich unfreiwillig die Perspektive. Ich kann es mir nicht verkneifen, über den einen oder anderen schrägen Charakter laut zu lachen, was eigentlich nicht meine Art ist. Darf man das? Ich lasse es einfach zu – manche Darsteller agieren aber auch einfach zu eigenartig. Man muss es sich also erlauben, auch über große Brillen, schräge Zähne, Übergewicht, leichtes Stottern oder allzu heftig herausbrechende Emotionen zu lachen. Und allmählich wird deutlich, mit welcher Kunstfertigkeit die Aktricen und Akteure auf ihre jeweiligen Rollen abgestimmt sind. Dieses Feintuning gehörte in der Vorbereitungsphase sicher zu den schwierigsten Aktivitäten. Die Knallchargen von »Pont 1843« sind immer ein bisschen zu laut und zu heftig; die freundlichen Besucher des Salons »Ramona« hingegen sind sanft und friedlich. Kurzum: Schwächen werden zu Stärken.
Meine Lieblingsszene findet auf einem Polizeirevier statt. Die schöne Lou Hendrix ist nämlich von den Schurken von »Pont 1938« entführt und mit einer Chemikalie ihrer Identität beraubt worden. Sie erwacht mit einer Amnesie im Bremer Containerhafen. Sie läuft durch die Stadt und versucht sich zu erinnern. Wer ist sie? Auf der Polizeiwache bittet sie um Hilfe. Am Tresen sitzen zwei tapfere Beamte. Was denn los sei, fragt der eine. Jaja, erinnern könne man sich selber auch manchmal nicht. Dann habe man vielleicht zu viel getrunken. Das sei nicht weiter schlimm. Jedes Problem, das Lou hervorbringt, wird gesprächstherapeutisch gespiegelt, und so empathisch abgewiegelt. Der zweite Beamte muss bestätigen und nicken, wobei unter der Uniform ein Hemdkragen hervorblitzt, der einem Kinderschlafanzug ähnelt. Einfach grandios.
Mehr will ich nicht verraten. Der Film ist technisch vom Feinsten; immer wenn einem eine Szene ein wenig auf die Nerven geht, folgt ein Schnitt, und die Szenerie wechselt. Dieses Tempo macht den Film spannend. Es gibt gleich mehrere Narzissten, aber auch Sympathieträger. Es gibt bei den Bösen eine Lady mit einer gewissen sarkastischen Ausstrahlung, die jeden flachlegen will – #Metoo. Manchmal blitzt rund um den Salon »Ramona« auch ein wenig Erotik auf und es kommt zu Wangenküssen.
Und obwohl es nur die Andeutung eines Happyends gibt, hinterlässt »Shampoo Shampoo« das Publikum in gelöster, etwas alberner Grundstimmung. Ich empfehle daher den Besuch mit den Bewohnern der Wohngruppe, den Besuchern der Kontaktstelle, den Fachkräften und den Angehörigen sowieso.
Auf den »Hofer Filmtagen« wurden in diesem Jahr viele Geschichten erzählt. Die Drehbücher waren stark, die technische Umsetzung durch die meist sehr jungen Filmemacher erstaunlich. Hochbegabte Darstellerinnen kommen auf uns zu! Zwei Filme mit Psycho-Themen habe ich aus dem prallen Programm herausgegriffen.
Ilse Eichenbrenner in Soziale Psychiatrie
Letzte Aktualisierung: 26.07.2024