Noch ein paar Worte zu »The Father«, dem subtilen Demenzfilm? Anthony Hopkins und Olivia Colman haben inzwischen ihre Preise erhalten, und der Film ist in den Kanon der Meisterwerke des psychologischen Kinos aufgenommen. »Mindfuck« wird unter Filmliebhabern ein Film genannt, der für geistige Verwirrung sorgt – vor allem bei den Zuschauern.
Schauplatz des Films ist eine große Altbauwohnung. Ist es die Wohnung des 80-jährigen Anthony, oder die seiner Tochter und ihres Mannes Paul? Es ist nicht ganz sicher, so wie vieles nicht ganz sicher ist in diesem Kammerspiel. Tochter Olivia will es ihrem Vater recht machen, aber ist die junge Frau überhaupt seine Tochter? Was geht hier vor? Auch als Zuschauer ist man verunsichert: Ist das nicht plötzlich eine andere Schauspielerin, die Olivia Colman aber verblüffend ähnelt? Zeitweise kümmert sich eine attraktive junge Pflegerin um den charmanten alten Mann, aber ständig stiehlt sie seine Uhr. In immer wieder neuen Einstellungen gibt es kleine Verschiebungen, Zeitsprünge und Irritationen. Nicht nur Anthony zweifelt an seiner Wahrnehmung, sondern auch der Zuschauer. Anthony wird wütend und versucht mit der Wucht seiner Stimme und seiner Argumente alles ins Lot zu bringen. Er weiß, dass er Recht hat.
Ich blieb immer stärker an einem kleinen Detail hängen: Olivia trägt stets farbenprächtige, klinisch saubere und elegante Seidenblusen, wenn sie das Hähnchen aus dem Ofen holt oder den Abwasch erledigt. Nicht der kleinste Fleck ist zu sehen, eine Schürze oder Ähnliches gibt es nicht. Es geht dem Film nicht um die realistische Abbildung des Alltags, das wurde mir klar. »The Father« ist eine raffinierte Inszenierung auf der Grundlage des gleichnamigen Theaterstücks des Regisseurs Florian Zeller. Anthony wird am Ende liebevoll umsorgt in einer Pflegeeinrichtung. Dieses Ende aller Sicherheiten beruhigt mich ein wenig.
Eine kleine Recherche im Netz zeigt, dass viele Zuschauer, die mehr zum Thema Demenz erfahren wollten, enttäuscht und verärgert sind. Der Film verwirre einfach nur. Das Mindfucking funktioniert.
Ilse Eichenbrenner in Soziale Psychiatrie
Letzte Aktualisierung: 02.06.2024