"Unter dem Begriff der Psychoedukation werden systematische didaktisch-psychotherapeutische Interventionen zusammengefasst, die dazu geeignet sind, Patienten und ihre Angehörigen über die Krankheit und ihre Behandlung zu informieren, das Krankheitsverständnis und den selbstverantwortlichen Umgang mit der Krankheit zu fördern und sie bei der Krankheitsbewältigung zu unterstützen."(Bäuml und Pitschel-Walz 2008)
Das oberste Ziel besteht darin, den Faktor Empowerment ("Selbstbefähigung") bei den Betroffenen und ihren Familien zu stärken. Damit die Patienten ihre Erkrankung möglichst gut bewältigen können, müssen sie ein Grundverständnis für die Hintergründe ihrer Erkrankung und die aktuell zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten entwickeln.
Ohne den Aufbau eines klaren Krankheitsverständnisses mit daraus resultierender Krankheitseinsicht wird die langfristige und erfolgreiche Zusammenarbeit mit professionellen Hilfesystemen mangelhaft bleiben.
Die Psychoedukation kann zu einer Vernetzung von unterstützender Psychotherapie mit konsequenter Umsetzung der Pharmakotherapie und den sich daran anschließenden spezifischeren Psychotherapieformen führen. Im Sinne einer Brückenschlagfunktion soll sie den aus der Pharmakotherapie erwachsenden äußeren Schutz mit den persönlichen innerseelischen Steuerungskräften der Patienten optimal verzahnen. (...)
Die in psychoedukativen Gruppen erfolgende Informationsvermittlung wird stets kombiniert mit einer entsprechenden emotionalen Entlastung, da die diagnostischen Zuschreibungen wie "schizophrene Psychose", "affektive Minderbelastung", "rigide und unflexibel", "Suchttyp" oder "emotional instabil" oft als Kränkung empfunden werden. (...)
"Typisch" psychoedukativ ist das konsequente Bestreben, komplizierte Fachinformation mit laiengerechten Worten sehr anschaulich und didaktisch professionell, d. h. nach allen Regeln der Unterrichtskunst, zu vermitteln. Dadurch soll Betroffenen und Angehörigen das Gefühl des "Durchblicks" mit "Aha-Erlebnissen" ermöglicht werden.
Speziell sollen hierbei jene problematischen Sachverhalte zur Sprache kommen, die Laien das Verständnis von neurobiologischen und psychosozialen Zusammenhängen erschweren. Insbesondere der scheinbare Widerspruch zwischen "Chemie und Seele" muss durch ein gut nachvollziehbares und alle Aspekte aus Biologie, Psychologie und Sozialwissenschaften umfassendes Modell ersetzt werden. (...)
Die Patientengruppen finden in der Regel ein- bis zweimal wöchentlich statt, sie müssen innerhalb des Tagesplanes so in den Stationsablauf eingebettet werden, dass es keine Überschneidungen mit anderen Therapiemaßnahmen geben kann. Psychoedukative Gruppen sind grundsätzlich für alle Patienten offen, auch für solche, die sich das erste Mal mit einer psychiatrischen Diagnose konfrontiert sehen. (...)
Angehörigengruppen werden in der Regel 14-tägig abends durchgeführt. Auch diese sind grundsätzlich für alle Angehörigen offen. Bei einer Ersterkrankung müssen die Therapeuten allerdings vor dem gezielten Ansprechen der Angehörigen die Patienten um ihr Einverständnis bitten, da die Einladung in eine krankheitsbezogene psychoedukative Gruppe einer indirekten Diagnosenmitteilung gleichkommt.
Die Leitung der Gruppen wird von Ärzten und Psychologen übernommen, als Ko-Leiter haben sich Sozialpädagogen, Mitglieder des Pflegepersonals oder auch Mitarbeiter aller anderen Berufsgruppen bewährt.
Sinnvoll ist auch die Einbeziehung von Peers in die Leitung der Gruppen. Mit "Peers" sind die Betroffenen selbst oder deren Angehörige gemeint, die über ein so umfangreiches Wissen und die erforderliche Gruppenleitungstechnik verfügen, dass sie selbst Gruppen für Patienten oder Angehörige leiten können. Der große Vorteil besteht darin, dass ehemalige Patienten in der Vermittlung von krankheitsbezogenen Fakten eine sehr hohe Glaubwürdigkeit besitzen, sodass sie sehr zweifelnde Patienten eventuell besser überzeugen können als professionelle Helfer, denen gegenüber manchmal eine sehr lang anhaltende Skepsis besteht.
Letzte Aktualisierung: 05.04.2024