In der Reihe Praxiswissen ist kürzlich der Band »Aufsuchende psychiatrische Arbeit« erschienen. In diesem kompakten Buch von 160 Seiten findet man nicht nur alles Wichtige über den Hausbesuch in der Gemeindepsychiatrie und die aufsuchende psychiatrische Arbeit im Allgemeinen, sondern auch eine gute Einführung in die gemeindepsychiatrische Arbeit und eine ressourcenorientierte Grundhaltung. Allen, die in ihrer Arbeit mit psychisch kranken Menschen die Tatsache berücksichtigen möchten, dass diese außerhalb von Sprechzimmer, Klinik oder Einrichtung auch noch irgendwo leben, ist die Lektüre sehr zu empfehlen. Wie die Arbeit in diesem Bereich aussieht, schildern die Autoren dieses Bandes sehr praxisnah.
Das Buch ist in acht Kapitel gegliedert mit den Überschriften »Hilfe bringen – Chancen und Risiken des Hausbesuchs«, »Anlässe für einen Hausbesuch«, »Die Durchführung des Hausbesuchs«, »Umgang mit angespannten und aggressiven Situation«, »Die Beendigung des Hausbesuchs«, »Die Arbeit mit dem Umfeld«, »Selbstsorge« und »Die Beendigung der ambulant aufsuchenden Arbeit«. Jedes Kapitel enthält zahlreiche Fallbeispiele, die jeweils die Erläuterungen zu den einzelnen Themen illustrieren. Weiterhin findet man Mustertexte für Ankündigungen von Hausbesuchen und konkrete Empfehlungen für den Umgang mit typischen Situationen.
Die Autoren verzichten, wie ich finde angenehmerweise, auf die Erstellung von Checklisten, wer allerdings dieses Arbeitsmittel liebt, wird keine Schwierigkeiten haben, sich anhand des prägnanten Textes selbst welche zu erstellen. Zum Ende des Kapitels oder Abschnitts gibt es jeweils einen farblich hervorgehobenen Merksatz, diese Merksätze findet man auf den inneren Umschlagseiten wieder, so dass eilige Leser sich alleine durch den Blick auf diese eine schnelle Orientierung verschaffen können. Mögliche Redundanzen werden durch ebenfalls farblich gekennzeichnete Querverweise vermieden.
Außerordentlich nützlich sind die Abschnitte über den Umgang mit ambivalenten Aufträgen durch Mitteilung von Vermietern und Nachbarn (Abschnitt »Hausverwalter und Nachbarn als Türöffner«), zur Wohnungsverwahrlosung und zum Kinderschutz. Auch die Ausführungen über das Vorgehen, wenn bei einem Hausbesuch unerwartet Dritte mit ganz anderen Anliegen angetroffen werden, sind außerordentlich nützlich – eine Situation die in der Praxis häufig vorkommt, zu der es jedoch kaum konzeptionelle Überlegungen gibt.
Das Buch ist von einer Autorengruppe aus Stuttgart verfasst worden. Im baden-württembergischen PsychKG sind dem sozialpsychiatrischen Dienst keine hoheitlichen Aufgaben übertragen. Vor diesem Hintergrund werden die Themen »Hausbesuche auf Mitteilungen der Polizei über habituelles fremdaggressives Verhalten« und »Hausbesuche bei Waffenbesitzern« nur am Rande behandelt. Die allgemeinen Hinweise zur Planung von Hausbesuchen im Kapitel »Anlässe für einen Hausbesuch« und zur Durchführung und Beendigung von Hausbesuchen in »Umgang mit angespannten und aggressiven Situationen« sind hierauf jedoch gut anwendbar.
Insgesamt handelt es sich um ein ausgesprochen gelungenes und empfehlenswertes Buch. Für Anfänger in der aufsuchenden Arbeit sollte es eine Pflichtlektüre sein, erfahrene Kolleginnen und Kollegen können sich an einer durchdachten und zusammenhängenden Darstellung eines sonst oft eher anekdotisch dargestellten Arbeitsgebietes erfreuen und möglicherweise auch den einen oder anderen Sachverhalt in einer ungewohnt klaren und einleuchtenden Formulierung wiederfinden.
Diejenigen, die für einen ambulant aufsuchenden Dienst eine Gefährdungsbeurteilung erstellen oder aktualisieren müssen, finden in dieser Veröffentlichung umfassendes Material, um sich im Tätigkeitsfeld zu orientieren und angemessene Regelungen für den Schutz der Mitarbeitergesundheit zu definieren.
Matthias Albers in Psychosoziale Umschau
Letzte Aktualisierung: 12.04.2024