Bernd Kozel hat das erste deutschsprachige Fachbuch vorgelegt, das sich mit der Pflege suizidaler Personen beschäftigt. Angesichts der Tatsache, dass das Pflegepersonal psychiatrischer Einrichtungen zu der Berufsgruppe gehört, die am allermeisten mit dem Thema Suizidalität konfrontiert ist, ist diese Tatsache einerseits erstaunlich und betont andererseits das Verdienst von Kozel umso mehr. Von Interesse ist dieses praxisnahe und handlungsorientiert verfasste Buch zudem nicht nur für Pflegekräfte, sondern gleichermaßen für Ärzte und Psychologen.
Das Buch selbst untergliedert sich in drei Kapitel. In der Einführung werden suizidale Verhaltensweisen zunächst definiert und epidemiologische Zahlen zu Suiziden und Suizidversuchen referiert. Sodann beschäftigt sich der zweite und zentrale Teil des Buches mit den Möglichkeiten der Diagnostik und Behandlung von akuter Suizidalität im Pflegeprozess. Praxisnah werden konkrete Möglichkeiten beschrieben, wie Pflegepersonen die Detektion und Abklärung von suizidalem Erleben und Verhalten gestalten und unterstützen können.
Kozel macht dabei konkrete Vorschläge sowohl zur offenen Gestaltung der Risikoabschätzung als auch zur Nutzung standardisierter bzw. strukturierter Diagnostikinstrumente: Empfohlen wird u.a. der Einsatz der Nurse’ Global Assessment of Suicide Risk Scale (NGASR) für eine erste Einschätzung bestehender Risikofaktoren und die Verwendung der Suicide Status Form (SSF) für eine weitergehende Abklärung gegenwärtiger Suizidalität. Das zuletzt genannte Verfahren erfreut sich insbesondere im amerikanischen Raum zunehmender Verbreitung und eignet sich – wie erste Studien zeigen – gut für den stationären Routineeinsatz.
Beide Instrumente sind genauso wie diverse andere Materialien als Download verfügbar und ihr Einsatz wird anhand von Patientenbeispielen verdeutlicht. Auf die Darstellung der Risikoabschätzung folgt ein Abschnitt zur Zielklärung und -vereinbarung, bevor diverse Interventionen zur Krisenbewältigung und Aufarbeitung suizidaler Krisen vorgestellt werden. Zu Recht weist der Autor daraufhin, dass Pflegepersonen von allen Berufsgruppen in der Psychiatrie am meisten Zeit mit den Patienten verbringen. Dieses Potenzial gilt es zu nutzen und der Aufbau einer tragfähigen und stützenden Beziehung ist sicherlich eine der wichtigsten Interventionen, die dem Pflegepersonal zur Verfügung steht (selbst dann, wenn der Stationsalltag die Anwendung spezifischer Interventionsmethoden verunmöglichen sollte).
Verschiedene Möglichkeiten zur Beziehungsgestaltung werden von Kozel beschrieben. Schließlich werden Strategien und Methoden wie die Erstellung von Nonsuizid-Verträgen, Sicherheitsplänen, Hoffnungsboxen sowie Möglichkeiten zur Psychoedukation,kognitiven Umstrukturierung und zur Einübung von Achtsamkeit vorgestellt.
Das sehr strukturierte Buch verliert bei der Darstellung der Methoden zur Psychoedukation und zur kognitiven Infragestellung leider etwas an Prägnanz und klarer handlungsanweisender Struktur. Zudem fehlt m.E. insbesondere an dieser Stelle ein Vorschlag zur kooperativen Arbeitseinteilung von Pflegepersonal und ärztlichen bzw. psychologischen Therapeuten; also der Frage, welche Aufgaben dem Stationspsychologen oder der Stationsärztin zukommen und welche Aufgaben das Pflegepersonal übernehmen kann und soll. Dies gilt umso mehr, da sich die beschriebenen Strategien nicht von denen unterscheiden, die verhaltenstherapeutisch arbeitende Psychologinnen und Ärzte im Umgang mit akuter und chronischer Suizidalität anwenden würden.
Dieser Kritikpunkt stellt das Buch aber keineswegs grundsätzlich infrage! Vielmehr gelingt es Kozel sehr gut, ein klares Bild notwendiger und hilfreicher Interventionen zu zeichnen. Das Vorwort von Prof. Dr. John Cutcliffe endet mit den Worten "… ich möchte es allen Pflegepersonen, die mit suizidalen Menschen arbeiten, dringend zur Lektüre empfehlen. Die Zeit ist sinnvoll investiert!". Dem kann ich mich nur anschließen.
Tobias Teismann in Psychosoziale Umschau
Letzte Aktualisierung: 12.04.2024