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Psychiatrie Verlag

Die Psyche in Zeiten der Corona-Krise

Es wundert niemanden: Der Lockdown in der Corona-Krise wirkt sich auf die Seelen der Menschen aus. Dies stellt Kliniken, Psychotherapeuten und psychosoziale Dienste vor Aufgaben, die möglicherweise alle herausfordern. Ein Buch, das erste Orientierung bietet, ist der Sammelband »Die Psyche in Zeiten der Corona-Krise«. Die Psychotherapeutin Christiane Eichenberg und der Mediziner Robert Bering haben Expertinnen und Experten um sich gesammelt, die Antworten auf die drängenden Fragen suchen, die mit dem seelischen Wohlbefinden zu tun haben.

So geht es den Autorinnen und Autoren um die psychosoziale Notfallversorgung, die therapeutischen Adaptionen und Hilfe für vulnerable Zielgruppen in der COVID-19-Pandemie. Dabei nehmen sie den Alltag der Menschen unter veränderten Bedingungen in den Blick. Der Psychotherapeut Volker Beck ist der Überzeugung, dass eine fundamentale Krise mit einem enormen Potenzial für eine massive Traumatisierung breiter Bevölkerungsgruppen durchlebt werde. Es könne noch niemand sagen, »wie groß die Verwüstungen durch das Corona-Virus werden« (S. 64).

Es sei wichtiger denn je, dass niemand handlungsunfähig, sprachlos und beziehungslos würde. Die Psychologin Rosmarie Barwinski konstatiert, »dass der Umgang mit einer Pandemie nicht auf der individuellen Ebene gelöst werden kann« (S. 108). Bei einer Pandemie gehe es um eine kollektive Traumatisierung, »die nur bewältigt werden kann, wenn wir eine zweite Polarisierung berücksichtigen: den Widerspruch zwischen Gesellschaft und Individuum« (S. 108).

In den Beiträgen wird versachlicht, so geben sie Gelegenheit, den durch den Corona-Virus entstehenden oft bewegenden Phänomenen mit Klarheit zu begegnen. Für die psychosoziale Praktikerin und den psychosozialen Praktiker bieten die Beiträge natürlich mehr als die inhaltliche Differenzierung. Sie stellen – bildlich gesprochen – Hinweisschilder für den Umgang mit Menschen auf, die seelisch durch den Lockdown aus der Balance geraten sind.

Es wird sehr deutlich, welche Folgen die Stressphänomene im Zusammenhang mit dem Lockdown haben. Robert Bering, Claudia Schedlich und Gisela Zurek schreiben über die letale Bedrohung, die ökonomische Existenzangst, die Isolation und die Befürchtungsdynamik. Mit dem Begriff der Befürchtungsdynamik wecken sie Aufmerksamkeit. Diese Wachheit scheint auch nötig, schließlich geht es um wirklich einschneidende Ängste und Stressbelastungen.

Es überrascht nicht, dass auch ein Phänomen wie die Einsamkeit thematisiert wird. Dabei geht es nicht um Allgemeinplätze, die gegenwärtig vielen aufgrund von Forschungen und Berichterstattungen bekannt sind. Beck wagt eine andere Beschreibung. Er geht davon aus, dass die gewohnte Nähe-Distanz-Relativität durch die Corona-Krise in einen Schleudergang geraten sei und gegenwärtig in Elementarteilchen zerlegt werde. An die Orwellsche Verdrehung grundsätzlicher Kategorien menschlicher Beziehungen und Bedürfnisse müsste sich schnell angepasst werden. Das Buch »Die Psyche in Zeiten der Corona-Krise« ist dabei eine große Hilfe.

Christoph Müller in Psychosoziale Umschau

Letzte Aktualisierung: 26.04.2024