Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie
Dachverband Gemeindepsychiatrie
Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen
Psychiatrie Verlag

Forensische Psychiatrie und Psychotherapie

Sechs Jahre nach der Vorauflage ist nun eine fünfte Auflage des von Rasch begründeten und inzwischen als Standardwerk insbesondere der forensischen Begutachtung zu bezeichnenden Buches erschienen. Zu den Autoren- bzw. Herausgebernamen ist neben dem bisher namengebenden Autor Norbert Konrad, Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie an der Charité in Berlin, nun der Kieler Psychiater Huchzermeier hinzugekommen. Im Titel wurde das Werk um den Begriff »Psychotherapie« erweitert, weil diese, so die Autoren, an Bedeutung gewonnen habe. Zusätzlich hat das Werk ein sozialrechtliches Kapitel erhalten, um auch diesen Bereich Forensischer Psychiatrie abzudecken.

Die ersten vier Kapitel widmen sich den ethischen, kriminologischen, juristischen und psychiatrischen Grundlagen der Forensischen Psychiatrie, das siebte Kapitel der Therapie. Die Kapitel fünf, sechs und acht konzentrieren sich auf die forensisch-psychiatrische Begutachtung im Straf-, Zivil- und Sozialrecht.

Der Rezensent beschäftigt sich im Folgenden aus seiner eigenen beruflichen Perspektive heraus vornehmlich mit dem dritten Kapitel, den juristischen Grundlagen. Hier werden einleitend vor allem die prozessrechtlichen Erwartungen und Anforderungen an Sachverständige in straf- und zivilrechtlichen Verfahren mit Abdruck der relevanten Normen dargestellt. Es folgen je kürzere Übersichten über den juristischen Krankheitsbegriff im Strafrecht, über die Terminologie der neuen ICD-11 sowie über den von Rasch geprägten strukturell-sozialen Krankheitsbegriff. Als hilfreich für Sachverständige und andere Beteiligte in Strafverfahren dürfte sich die verbale und tabellarische Darstellung der psychiatrischen Diagnosen und ihrer Zuordnung zu den juristisch(-psychiatrischen) Merkmalen der §§ 20, 21 StGB erweisen. Anschließend wird die Verantwortlichkeit bzw. Schuldfähigkeit von erwachsenen und jugendlichen Tätern anhand dieser Paragrafen erörtert.

Der Kern des Kapitels widmet sich der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB – dem Maßregelvollzug –, hier auffallend aus prononciert psychiatrischer Sicht. An die für den Sachverständigen hilfreiche und übersichtliche Darstellung der Voraussetzungen der Unterbringung, seiner Zuständigkeit und der des Richters im Strafverfahren schließen sich kritische Bemerkungen gegenüber einer älteren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Heilen und Pflegen an. Die vom Bundesgerichtshof (BGH) benutzten Begriffe entsprächen nicht der Entwicklung in der Psychiatrie. Es folgen Hinweise auf internationale Diskussionen zum »Wachstum« der Forensischen Psychiatrie sowie auf die Veränderungen bei Zuweisungs- und Belegungszahlen in Deutschland.

Im Anschluss an die Wiedergabe von § 136 StVollzG, der die Ausrichtung der Behandlung »nach ärztlichen Gesichtspunkten« vorschreibt, wird lediglich auf weiterführende Literatur – ohne den einschlägigen Kommentar zum Maßregelvollzugsrecht zu erwähnen – und auf die Maßregelvollzugsgesetze der Länder verwiesen sowie auf die Problematik, dass das Betreuungspersonal in der Forensik nicht auf die Arbeit mit dieser schwierigen Personengruppe vorbereitet sei. Erwähnt wird auch nicht, dass sich inzwischen einige Länder von der diesbezüglichen Vorgabe des Bundesrechts abgekoppelt und die Vollzugsziele nach eigenem Recht normiert haben.

Gänzlich unerörtert bleibt die jüngere rechtsdogmatische Entwicklung des Maßregelrechts und des entsprechenden Vollzugsrechts angesichts der normativen Stärkung der Selbstbestimmung in Behandlungsangelegenheiten: Patientenverfügungsgesetz, Patientenrechtegesetz, Einschränkung ärztlicher Zwangsbehandlung, UN-Behindertenrechtskonvention u.a. Auch die Neuregelung der Beendigung des Maßregelvollzugs aus Gründen der Verhältnismäßigkeit, § 67d Abs. 6 StGB, hat zu einer deutlichen Akzentverschiebung in der rechtlichen Bewertung der Anordnungs- wie Vollstreckungsziele bei der Unterbringung nach § 63 StGB beigetragen: Der Schutz der Allgemeinheit wird wieder zum prioritären Zweck der Maßregel, während die Behandlung den Charakter eines – zwingend vorzuhaltenden – Angebots zugewiesen bekommt.

Der Untergebrachte erbringt mit seiner Freiheitseinbuße ein »Sonderopfer« (selbst dies Stichwort fehlt im Sachverzeichnis), das nach Eingriffsintensität und -dauer an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden ist. Daher sollte auch nicht mehr von »Lockerungen« die Rede sein, sondern von »Rücknahme« der Freiheitseinschränkungen in dem Maße, wie die Gefährlichkeit des Betroffenen mit oder ohne Behandlung abgenommen hat.

Gestört hat den Rezensenten schließlich auch die erhebliche Anzahl von Trennungsfehlern bei Zeilenumbrüchen, die die Autoren oder der Verlag übersehen und nicht korrigiert haben. Trotz der hier herausgepickten Kritikpunkte im Kapitel drei ist dem Werk auch in dieser Auflage ein bereicherndes Informationsniveau zu bescheinigen.

Heinz Kammeier in Soziale Psychiatrie

Letzte Aktualisierung: 26.04.2024