Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie
Dachverband Gemeindepsychiatrie
Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen
Psychiatrie Verlag

Ich bring dich um!

Aus welchem Armani-Holz Frau Saimeh geschnitzt ist, mag man erahnen, wenn man mitbekommt, dass es ihr gelungen ist, zeitgleich zum Erscheinen ihres oben genannten Buches einen ganzseitigen Artikel über sich und das Buch in der Süddeutschen Zeitung, Nummer 40, 2018 zur Publikation kommen zu lassen. Das weist auf ausgeprägte lebenspraktische Fertigkeiten und ein funktionierendes Netzwerk hin. Chapeau!

Aus diesem Zeitungsartikel erfährt man auch, dass sie sich aus der Chefarztrolle in der von ihr bisher geleiteten Forensikklinik verabschiedet hat, um nur noch aus ihrer Gutachtenpraxis heraus tätig zu werden. Damit unternimmt sie einen Schritt, der beachtenswert ist, denn ohne diesen könnte sie weiterhin sich ihres Chefärztinnengehaltes erfreuen bei gleichzeitiger Abwesenheit aus der eigentlich von ihr zu leitenden Klinik, da sie als Gutachterin in hochkarätigen Strafverfahren langfristig benötigt und genutzt wird. Man darf gespannt sein, wie viele Leiter forensischer Kliniken diesem mustergültigen Beispiel folgen. Bewundernswert ist zudem, dass es Frau Saimeh gelingt, ihre chefärztlichen, gutachterlichen und schriftstellerischen Tätigkeiten zeitlich unter einen Hut zu bringen, zumal ihre Freizeitgestaltung sicher nicht minder anspruchsvoll sich darstellen dürfte.

Nun zum Buch: Es firmiert ja nicht als Lehrbuch der Forensik, sondern will »einen kleinen Beitrag leisten zum Verständnis individueller Mechanismen, die Hass und Gewalt befördern, und den Diskurs somit um eine wichtige Facette bereichern, vielleicht sogar einen Bogen schlage zwischen weit auseinanderliegenden Positionen. Dann hätte das Buch seinen Zweck erfüllt«. Sprachlich kommt es gut allgemeinverständlich über, der Leser, die Leserin wird persönlich angesprochen, es vermeidet prätentiöse Ausdrucks- und ideologisch überhöhte Sichtweisen. Für mich als altem Forensik-Hasen bietet das Buch hinsichtlich der Fakten nichts Neues, trotzdem habe ich es gern gelesen, weil ich mich fast durchgehend in meiner Sichtweise der Dinge bestätigt gesehen habe. Das freut einen denn ja auch.

Natürlich kann und will sie sich nicht drücken vor dem forensischen Desaster-Parade- Fall Gustl Mollath (an ihm hat sich die halbe bundesdeutsche Hautevolee der Forensik einen Orden erarbeitet) und kann geschickt an ihm einige forensisch rechtliche Aspekte abarbeiten, ohne ihren darin verwickelten Kollegen zu nahe zu treten. Sie versteht es exzellent, an informativ aufgearbeiteten Fallbeispielen ihre Sichtweise und ihre dezidierte Meinung aufzubereiten. Ihr gelingt es, eine Unzahl von informativen Zahlen auszubreiten, dabei immer die Spannung aufrechterhaltend, was sie als Nächstes darbieten wird. Die einzelnen Kapitel sind thematisch nachvollziehbar und werden inhaltlich sehr umfassend durchgearbeitet. Angenehm ist es, dass sie zwar klar und deutlich ihre Auffassung vertritt, aber sich keineswegs als Grandseigneurin der Forensik geriert.

Interessiert hätte mich im Übrigen, wie sie die Gefährlichkeitsprognose einer »Mordversucherin am Ehemann«, juristisch eine versuchte »Hinderniselimination«, eingeschätzt hat, nachdem die zuvor juristisch unauffällige Frau 15 Jahre Haft abgesessen hat. Nebenbei eine Regel: »Frauen töten denjenigen, den sie loswerden wollen, während Männer oftmals die Person ermorden, die sie eigentlich behalten wollen.«

Was ich mir auch gewünscht hätte, auch wenn sie auf die diesbezüglichen Probleme immer wieder einmal zu sprechen kommt, ein Kapitel über Prognosegutachten und das darin sich verbergende und zugleich offenbar werdende Dilemma, ein qualitätsreiches Gutachten abzustatten, ohne zwei Jahre später als der- oder diejenige in die Medien zu gelangen, der oder die einen weiteren Mord oder Vergewaltigung oder Kindesmissbrauch oder -tötung oder oder ermöglicht hat.

Beachtlich ist zudem, dass sie sich der religiös getünchten Selbstmordattentäter annimmt, die ja nach allgemeiner Auffassung im Prinzip kein Fall für die Forensik sind, obwohl man sie ja vielleicht doch aufgrund der Unkorrigierbarkeit ihre Vorstellungen als Fälle eines religiösen Wahns betrachten könnte und auf diese Weise zu forensifizieren wären.

Zum Schluss spricht Frau Saimeh mir vollends aus der Seele, wenn sie folgenden Zeilen zu Papier bringt: »Die Forensische Psychiatrie schafft Sicherheit und einen effektiven Schutz vor Rückfallstraftaten. Damit macht die Forensische Psychiatrie die Gesellschaft sicherer und ist keinesfalls ein Schandfleck rechtsstaatlicher Willkür, sondern ein durch Aufsichtsbehörden und Justiz sowie zahlreiche Besuchskommissionen sehr intensiv rechtsstaatlich überwachter Therapiebereich.« Umso überraschender ist es, dass die DGSP-Chefärzte (es gibt wohl auch Ausnahmen!) einen weiten Bogen um diesen Bereich machen und das Terrain der DGPPN überlassen.

Ich muss mich zwingen, der positiven Besprechung Einhalt zu gebieten, nicht ohne noch zu erwähnen, dass ich das Buch in drei Tagen in Hannover in der »Holländischen Kakaostube« bei neun Tassen Kakao mit Schlagsahne durchgelesen habe. Zu guter Letzt sei angemerkt, dass sich das Buch sehr gut eignet für alle Psychiater, um sie auf die Spur der Forensik zu verführen, aber auch für ältere Semester, weil es vieles enthält, an was man sich gerne erinnern lässt oder was man – stolz –bereits zu wissen glaubt.

Gunther Kruse in Sozialpsychiatrische Informationen

Letzte Aktualisierung: 26.04.2024