Vielleicht erst einmal durchblättern? Das Logo eines Pinguins lädt zur Lektüre der zwanzig ganz unterschiedlich kurzen Beiträge ein. Das ganze Buch wirkt stylish und leicht – keine schlechte Basis für dieses schwierige Thema.
Silke Lipinski begrüßt im Namen der Selbsthilfeorganisation Aspies e.V. und schildert, wie es zu diesem zweiten Band mit Texten von Betroffenen aus dem Autismus-Spektrum gekommen ist. Der erste Band »Risse im Universum« war 2010 erschienen. In diesem zweiten Band soll es vor allem um Bewältigungsstrategien gehen.
Um es gleich zu sagen: Ich finde diese Sammlung hervorragend. Alles, was in den letzten Jahren in der Fachliteratur über Störungen aus dem Autismus-Spektrum eher trocken beschrieben wurde, kann die Leserin hier miterleben. Da ist der lange, meist überlange Weg bis zur Diagnose; das Gefühl, in dieser Welt falsch zu sein und nicht dazuzugehören, und die ungeheuren Anstrengungen, etwas daran zu ändern. Die Autorinnen und Autoren dieser Texte sind jung oder fast schon im Rentenalter. Fast alle beschreiben akribisch, wie sie denken, fühlen, sich informieren und wie sie versuchen zu verstehen, wie die soziale Welt funktioniert. Sie sind ungeheuer bemüht, die Reaktionen ihrer Mitmenschen zu verstehen. Sie schreiben Listen und Merkblätter, sie prägen sich Gesichter und Emotionen ein, sie zeichnen und schreiben.
Wunderbar beschreiben manche ihre Übersensitivität und ihre Strategien, sie zu bewältigen. Irritierendes Verhalten wird verständlich: das Faible für Comics, Memes, Plüschtiere, Popsongs und Fantasy, das Flattern und Springen; die extrem unterschiedlichen Spezialinteressen und Skills, mit denen die Betroffenen zur Ruhe kommen. Für Profis dürfte das interessant sein, weil sich hier viele Ideen für Klienten – auch mit anderen Störungen – finden lassen.
Manches ist banal und gleichzeitig so bizarr, dass ich hier doch spoilern muss: Eine Klientin hat ihre ganze Wohnung ausschließlich in Weiß gestaltet! Genial. Viele lieben leere Räume. Visuelle Ruhe ist das Geheimrezept. Jede und jeder beschreibt nicht nur ihre Copingstrategien und Spezialinteressen, sondern auch die Entwicklung in Schule, Ausbildung und Beruf. Manche sind verheiratet, viele haben Familie. Manche haben ihre Diagnose erst über ihre Kinder erhalten. Viele haben studiert und sind berufstätig.
Wer der Empfehlung von Ilja Ruhl gefolgt ist und sich die Doku »Liebe im Spektrum« auf Netflix angeschaut hat, der ist bereits ganz gut vorbereitet auf die »Aspies« und dieses wunderbare Buch.
Ilse Eichenbrenner in Soziale Psychiatrie
Letzte Aktualisierung: 26.04.2024