Im Sessel unter der Leselampe sitzend nehme ich das Buch zur Hand und beginne zu lesen. Depression ein häufig strapazierter Begriff – gerade in der dunklen Jahreszeit. Hat nicht jeder depressive Phasen? Das geht vorüber, wenn man/frau sich ein wenig zusammenreißt. Menschen, die unter einer depressiven Erkrankung leiden, kennen die gut gemeinten und aufmunternden Ratschläge sicher allzu gut.
Wenn es denn "so einfach" wäre. Ja, dann würden diese Menschen nicht an einer depressiven Erkrankung leiden. Mit dem Ratschlag Depression hat der Psychiatrie-Verlag ein Buch veröffentlicht, dass – wie in der Vorbemerkung zu lesen, ist – keine vollständige Übersicht zum derzeitigen Stand des Wissens geben soll. Es will vielmehr Brücken des Verständnisses bauen, um depressive Menschen, den Verlauf ihrer Erkrankung und die therapeutische Begleitung besser verstehen zu lernen. Erkennen, verstehen, behandeln: Im Aufbau des Buches findet sich dieser auch als Leitsatz zu verstehende Untertitel wieder.
Von der Beschreibung des Depressiven Syndroms, Verlauf der Erkrankung, Therapie bietet Manfred Wolfersdorf eine gute Struktur, um sich diesem komplexen Krankheitsbild und seiner Behandlung zu nähern. Als ärgerlich empfinde ich allerdings die reichliche Verwendung von medizinischen Fachbegriffen, die zumindest für medizinische Laien, Stolpersteine auf dem Weg zur Verständigung sind.
Differenziert und sensibel führt der Autor dagegen an Begriffsbestimmung und Symptomatik heran. Patienten, die immer wieder zu Wort kommen, lassen "Gefühlsarmut", "Schuldgefühle", "Hypochondrie" erfahrbarer, nachvollziehbar werden. Eine Hilfestellung für alle, von dem oft so gut gemeinten Zureden Abstand zu nehmen.
Auf die Frage der "Verursachung" und "Entstehung" erhalten Leser Antworten durch Einblicke in die verschiedensten psychologisch-psychoanalytischen, neurobiologischen und lerntheoretisch-verhaltenstherapeutisch Modelle.
Für die Therapie fordert der Autor eine ganzheitliche Betrachtungsweise. Dem entspricht die umfassende Darstellung der Therapieformen, ausführlich wird auch auf die medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva eingegangen; jeweils ein Kapitel behandelt die "schwierigen Themen": Suizidalität und wahnhafte Depressionen.
Mir gefällt an dem Ratschlag, die differenzierte und einfühlsame Schreibart. Manche Wiederholungen nehme ich in Kauf, weil durch die unterschiedlichen Perspektiven jeweils andere Akzente gesetzt werden. Hilfreich finde ich den Versuch, Grundprinzipien der Behandlung sowie einige Grundregeln zur Fehlervermeidung aufzustellen.
Die fachliche Kompetenz des Autors steht außer Frage. Und dass er die menschliche Grundhaltung, die er für den Umgang und die Behandlung psychisch kranker depressiver Menschen fordert, selbst in seinen Arbeitsalltag integriert hat, daran lässt das Buch keinen Zweifel. Ein Ratschlag, der im psychiatrischen Alltag eine gute Hilfestellung sein kann.
Elke Titze, Psychosoziale Umschau
Letzte Aktualisierung: 26.04.2024