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Psychiatrie Verlag

Was steckt hinter dem Misstrauen?

Verfolgungsängste und Verfolgungswahn sorgen bei Menschen, die Betroffenen begegnen, oft für Befremden. Auch Menschen aus dem engen sozialen Umfeld sind häufig irritiert. Schlimmer noch ist es, wenn diese Phänomene zu Bedrohungen und Ängsten führen. Mit dem »Ratgeber Verfolgungsängste und Verfolgungswahn« sorgen die Psychotherapeutinnen Lea Ludwig und Valeska Hug für einen nüchternen Blick auf diese Phänomene.

Aber was sind denn eigentlich Verfolgungsängste und Verfolgungswahn? In einem ersten Schritt versuchen Ludwig und Hug, Antworten zu formulieren, die eingängig erscheinen. Es glückt ihnen vor allem mit Fallbeispielen, die die Phänomene auch für nicht betroffene Menschen nachvollziehbar machen. So schaffen sie Raum für das Verständnis für die Phänomene, ohne sich an Defiziten zu orientieren. Der soziale Rückzug betroffener Menschen wird als »Sicherheitsverhalten« (S. 13) beschrieben, das dazu dient, »Gefahr abzuwenden und möglichst eine Sicherheit herzustellen« (ebd.).

Man hat den Eindruck, dass den Autorinnen das Nachspüren und Ertasten dessen, was im Erleben der betroffenen Menschen geschieht, naheliegt. Mit direkter Ansprache wenden sie sich auch unmittelbar an die betroffenen Leser und Leserinnen und stellen die Frage, wie sehr jemand mit seinen Ängsten und Wahnvorstellungen beschäftigt ist. Sie erläutern den Terminus des Grads der Überzeugung sowie der damit verbundenen Belastung. Den Autorinnen geht es nicht darum, Dinge besser zu wissen oder Hilfe aufzudrängen. Vielmehr appellieren sie indirekt, in sich zu gehen und sich offen und ehrlich die Frage nach dem Moment zu stellen, wann professionelle Hilfe unumgänglich ist.

Nach den individuellen Annährungen an die Phänomene der Verfolgungsängste und des Verfolgungswahns blicken Ludwig und Hug auch auf genetische und soziale Risikoaktoren. Sie erläutern den Einfluss von Botenstoffen auf das Aufkommen und Werden von Symptomen, »wenn der Stress auf fruchtbaren Boden fällt« (S. 35). Damit betonen sie auch, dass ein Ausbruch multifaktoriell bedingt ist.

In einem weiteren Teil schauen sie auf die Möglichkeiten zu Selbstsorge und die Selbsthilfe für betroffene Menschen. Sie stellen Modelle und Fertigkeiten vor, die Betroffenen die Gelegenheit geben, mit dem befremdlichen Erleben und den ungewünschten Erfahrungen umzugehen. »Finden Sie selbst heraus, welche Aufteilung für Sie richtig ist« (S. 47), heißt es hier. So geben sie ihnen Souveränität, Selbstwirksamkeit und Individualität auf dem Genesungsweg zurück.

Als es um die Unterstützungs- und Hilfemöglichkeiten von außen geht, schreiben Ludwig und Hug ganz selbstverständlich von der Psychotherapie. So verwundert es auch nicht, dass sie sehr einfühlsam über die medikamentöse Therapie bei Verfolgungsängsten und Verfolgungswahn schreiben. »So viel wie nötig, so wenig wie möglich« (S. 86), lautet das Bekenntnis der beiden Psychotherapeutinnen.

Der »Ratgeber Verfolgungsängste und Verfolgungswahn« kann als die vorläufige Nummer eins in der Ratgeberreihe des Hogrefe-Verlags gewürdigt werden. Er leistet mehr, als den momentanen State of the Art festzustellen. Die beiden Autorinnen konkretisieren viele Informationen und Möglichkeiten für Betroffene und Menschen in ihrem sozialen Umfeld. Ich schließe mit einem Satz aus dem Buch, der für sich spricht: »Einen Menschen mit Verfolgungsängsten zu begleiten, heißt, ihm zuzuhören und sich einzufühlen, das heißt, die Welt immer wieder mit den Augen des Betroffenen zu sehen und dennoch die eigene Perspektive zu bewahren« (S. 90).

Christoph Müller in Psychosoziale Umschau

Letzte Aktualisierung: 26.04.2024