Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie
Dachverband Gemeindepsychiatrie
Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen
Psychiatrie Verlag

Psychodynamische Psychosen-Psychotherapie

Eins vorweg: Der Rezensent dieses Buches ist kein Psychotherapeut, sondern in der Ausbildung von Fachkräften der Sozialen Arbeit tätig. Da stellen sich die Fragen: Warum ist ein Buch über psychodynamische Psychosenpsychotherapie auch über den Kreis der psychotherapeutisch Tätigen hinaus von Interesse? Und inwieweit ist es vielleicht auch für diejenigen Fachkräfte in der Sozialpsychiatrie relevant, die keine Anhänger psychodynamischer Theorien und Therapieansätze sind?

Die Begegnung mit psychotisch erkrankten Menschen stellt in der psychosozialen Praxis aufgrund der schwierigen Nachvollziehbarkeit des psychotischen Erlebens ohne Frage nach wie vor eine Herausforde-rung dar. Psychodynamische Zugänge bieten hier Interpretationshilfen, die psychotische Symptome von dem Verdikt des Unverstehbaren befreien können, das die Betroffenen aus dem Kreis der »Normalen« ausgrenzt. Sie bilden eine Brücke des Verstehens, indem sie der individuellen Symptomatik – z. B. durch deren Bezug auf vergangene und aktuelle zwischenmenschliche Konflikte – einen sozialen Sinn zuschreiben. Auch der sie mitbedingende soziale Zusammenhang, zum Beispiel als familialer Konflikt, wird so erkennbar. Das psychodynamische Verständnis bildet damit eine wichtige Perspektive, psychotisches Erleben in einem anthropologischen Kontext zu sehen und als allgemeine Reaktionsmöglichkeit der menschlichen Psyche zu verstehen.

Die zwanzig Beiträge des Bandes zeugen von dem Mut und der Bereitschaft zu therapeutischer Begegnung und Auseinandersetzung mit psychotischen Erkrankungen, die in einem Versorgungsalltag, der vielen Betroffenen psychotherapeutische Behandlung vorenthält, nicht selbstverständlich sind. Sie entstammen Vorträgen auf Tagungen der International Society for Psychological and Social Approaches to Psychosis (ISPS-Germany), die sich seit Jahren zu diesem Thema engagiert.

Inhaltlich behandeln die Aufsätze Grundlagen und spezielle Aspekte der psychodynamischen Psychosenpsychotherapie, Aspekte der Gruppentherapie und Gruppenarbeit, soziale Therapien, das Verhältnis zwischen Psychoanalyse und Psychiatrie sowie geschichtliche Aspekte.

Positiv hervorzuheben sind die zahlreich enthaltenen Fallbeschreibungen, die zum Teil sehr eindrücklich psychodynamische Deutungsmöglichkeiten psychotischer Symptome illustrieren und auch die damit verbundenen Gegenübertragungsprozesse bei den Behandlern einbeziehen (Rosen-baum, Neraal, Schwarz). Dadurch wird u. a. ein Bewusstsein für die Gegenübertragung als wesentlichen Bestandteil einer therapeutischen Grundhaltung befördert, die zum Kompetenzinventar von Fachkräften in der sozialpsychiatrischen Versorgung gehören sollte.

In theoretischer Hinsicht wird u. a. durch Beiträge zu daseinsanalytischen Perspektiven (Jaenicke), psychodramatischer Psychosenbehandlung (Leutz) und zu Konsequenzen neurobiologischer Depressionsforschung (Böker) die Offenheit und Weite aktuellen psychodynamischen Denkens erkennbar. Ebenfalls werden strukturelle Aspekte wie Macht-Ohnmacht und die Auswirkungen negativer Arbeitsbedingungen thematisiert und ihre Bearbeitung in der psychodynamisch ausgerichteten Supervision beschrieben (Butzke, Korte).

Auch Aspekte außerhalb der psychotherapeutischen Behandlung im engeren Sinne finden in dem Band Berücksichtigung. So bilden Beiträge zur Kunsttherapie (von Spreti), zur beruflichen Rehabilitation (Schmidt) und zur kreativen Gruppenarbeit (Creativity Based Contacts) im gemeindepsychiatrischen Setting (Nowack und Tonn) eine wichtige Ergänzung zu den im engeren Sinne psychotherapeutischen Themen. Der letztgenannte Beitrag verdeutlicht anhand einer Reihe eindrücklicher Projektbeispiele, wie therapeutisch reflektiertes Handeln in den Sozialraum hinein antistigmatisierend wirken kann.

Abschließend sind auch die historischen Aufsätze zu erwähnen, unter denen besonders die faszinierende Schilderung einer von Jakob Levy Moreno durchgeführten Psychosentherapie von seiner Schülerin und Mitarbeiterin Grete Leutz hervorzuheben ist.

Das Buch bietet eine abwechslungsreiche und anregende Lektüre für alle, die sich für das psychodynamische Verständnis von Psychosen interessieren. Es bietet interessante Einblicke und fasziniert durch die zahlreichen Falldarstellungen und der in ihnen zum Ausdruck kommenden Tiefe der Reflexion.

Prof. Dr. Henning Daßler in Psychosoziale Umschau

Letzte Aktualisierung: 26.04.2024