Dass es aus der Psychose Wege zur Genesung gibt, ist schon länger bekannt. Und viele wissen auch, dass es der Genesung förderlich ist, wenn der dorthin Aufbrechende sich in Ruhe sammeln kann, ermutigt durch wohlwollendes Interesse an seinem Woher und Wohin und ohne Druck – wenn dies auch längst nicht immer beachtet wird. Immer noch schickt man Menschen allein mit einer üppigen Wegzehrung Neuroleptika in ihre eigene Fremde und wundert sich dann, dass sie sich verirren oder – wenn sie denn wieder in der allgemein geteilten Realität anlangen, nicht mehr wissen, wie sie denn dorthin gekommen sind.
Mit ihrem Buch »Die abklingende Psychose« haben Jann E. Schlimme und Burkhart Brückner jetzt einen brauchbaren Wanderführer für Betroffene und Wegbegleiter verfasst, der verschiedene Pfade zur Genesung in großem Maßstab vorstellt. So kann man alle Wegstrecken mit ihren Herausforderungen und Chancen gut erkennen: die verschlungenen Pfade des Psychosegeländes mit der wild wuchernden Fülle an Bedeutungen, die die Wege teilweise fast unpassierbar machen. Die »Inseln der Klarheit« mitten im Märchenwald und die »Wendepunkte«, von denen man auf die gut ausgebauten Wege des Allgemeinen Wandervereins gelangen kann.
Die Plätze, wo man seine exklusive Psychoserealität »parken« kann, wenn man sie nicht ganz aufgeben kann oder mag. Und Rastplätze, wo man Gelegenheit hat, Worte zu finden für das Erlebte und vielleicht sogar eine Erzählung daraus zusammenzufügen, die einen mit anderen Menschen verbindet und mitunter auf ganz neue Lebenspfade führt. Wo man aber auch einfach schweigend ausruhen und den Boden der Realität prüfen kann.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Brückner und Schlimme haben ein Sachbuch geschrieben. Das ist allerdings trotz mancher Redundanz spannend wie ein Roman oder ein Märchen, und das liegt auch daran, dass der Professor für Sozialpsychologie und der Psychosen therapierende Psychiater etliche in Psychosen bewanderte Mitforschende und -schreibende gefunden haben. Allen zusammen ist es gelungen, anschaulich zu machen, was einen Genesungsprozess im Einzelnen ausmacht und vorantreibt. Menschen gehören dazu, die einen auf schwierigen Wegstrecken begleiten und geduldig immer wieder einladen zum Andocken an die gegenständliche Welt und an das früher einmal Selbstverständliche.
So ergeben sich dann mitunter Wendepunkte, an denen man neben seiner ganz eigenen Psychosewelt auf einmal wieder die Existenz einer mit anderen teilbaren Wirklichkeit anerkennen kann. Zeit gehört dazu, um wieder anzukommen und um zu verstehen, was mit einem geschehen ist und was womöglich zukünftig Platz braucht im Eigenen, damit man nicht wieder in die Wildnis flüchten muss. Oder um zu lernen, in seinen zwei Welten gleichzeitig zu leben, ohne anzuecken. Und gesellschaftliche Orte sind nötig, wo all das stattfinden kann. Ein tolles Buch, das den in Psychosegefilden Wandernden mit Wertschätzung begegnet und ihre Erfahrungen im Teilbaren verortet, ohne sie zu banalisieren.
Cornelia Schäfer in Psychosoziale Umschau
Letzte Aktualisierung: 26.04.2024