Thema
Das Buch widmet sich der Vermittlung von Grundwissen der Psychotraumatologie und gleichzeitig und gleichwertig dessen praktischer Anwendung insbesondere bei der Arbeit in psychiatrischen Arbeitsfeldern. Es wendet sich an Menschen, die beruflich mit traumatisierten Menschen zu tun haben, jedoch nicht an die Betroffenen selbst.
Autor
Jens Gräbener ist Diplompsychologe, psychologischer Psychotherapeut(VT), systemischer Therapeut (DGSF) und Leiter des Berliner Krisendienstes, Region West. Er ist außerdem in der Weiterbildung von Psychotherapeutinnen und -therapeuten tätig.
Aufbau
Das Buch wendet sich nach einer Vorbemerkung, in der kurz ganz Wesentliches zum Thema Zielsetzung und Zielgruppe gesagt wird, zunächst den Dimensionen des Traumas und der Darstellung der traumatischen Situation zu, um dann die ggf. sich ergebenden psychischen Beeinträchtigungen zu beschreiben. Im Folgenden legt der Autor dar, wie Menschen Traumatisierungen bewältigen können und wie professionelle Hilfen gestaltet sein sollten. Ausführlich widmet er sich dann der professionellen Interaktion mit traumatisierten Patientinnen und Patienten. In seiner Schlussbemerkung fasst er nochmals zusammen, was gute professionelle Unterstützung im Heilungsprozess ausmacht. Eine Liste ausgewählter Literatur und hilfreicher Adressen runden das Buch ab. Innerhalb der Kapitel wird nach der Wissensvermittlung immer auf die praktischen Konsequenzen hieraus hingewiesen, die wesentlichen „Merksätze“ sind in blauer Schrift hervorgehoben und es finden sich viele Querverweise.
Inhalt
In der Vorbemerkung wird bereits deutlich, was dem Autor im Umgang mit den Betroffenen wichtig ist: Eine individualisierte Sichtweise, gutes Grundwissen, das Aushalten der Berührung eigener Ängste und Traumata und dass sich die Therapeutinnen und Therapeuten bei allem professionellen Abstand trotzdem eine gewisse Berührbarkeit bewahren sollten.
Im ersten Kapitel „Ein Trauma – was ist das?“ diskutiert J. Gräbener die im medizinischen Bereich genutzten Traumadefinitionen, um sich vom inflationären Gebrauch des Begriffs im Alltag abzusetzen und beschreibt die wichtigen Dimensionen, wie die Ereignisqualität, Subjektivität, Dimension der Interaktion, die Kontextabhängigkeit u.a. Um ein Beispiel für den Praxisbezug zu geben. Aus letzterer schließt er, wie wichtig es sei, die eigene Traumadefinition, die sich von der des Patienten unterscheiden kann!, immer wieder zu überprüfen. Nun stellt sich die Frage nach der traumatischen Situation: Es wird die Überforderung der Verarbeitungskapazität auf neurophysiologischer und individueller Ebene (traumatische Zange mit ggf. Dissoziation) beschrieben.
Im Folgenden geht er auf die psychischen Beeinträchtigungen als Folge traumatischer Erlebnisse ein. Er stellt die klassischen Traumafolgen/-folgestörungen nach ICD (10 und 11) und DSM-5 und die sie beeinflussenden Faktoren dar und diskutiert den Zusammenhang zwischen psychischen Störungen und Trauma (z.B. keine Monokausalität, individuelle Sichtweise der Patientin), um dann auszuführen, dass Traumafolgen unterhalb der diagnostischen Schwelle (z.B. eine völlig veränderte Weltsicht!) auch großes Leid beinhalten können und daher beachtet werden müssen.
Im Folgenden wendet er sich der Traumabewältigung zu, beschreibt, wie diese häufig ohne professionelle Hilfe gelingt (Resilienz) und wie sie unterstützt werden kann. Nun geht er auf die möglichen professionellen Hilfen in den verschiedenen Phasen ein. Die Schwierigkeiten bei der Indikationsstellung, Stabilisierung und Exposition betreffend Traumaerinnerungen werden ebenso diskutiert, wie die noch nicht in ausreichender Zahl und Qualität vorhanden Wirksamkeitsstudien.
Im letzten Kapitel wird der professionellen Interaktion mit traumatisierten Patienten ausführlich Raum gegeben, die ja insbesondere bei in nahen Beziehungen traumatisierten Patientinnen und Patienten alles andere als einfach ist, u.a. wegen der ablaufenden Übertragungsprozesse, die wiederum bei Nichtbeachtung zu Retraumatisierungen führen können. Auf die Anerkennung der Expertise der Betroffenen in eigener Sache, die Notwendigkeit der Individualisierung des Hilfeprozesses u.a. wird dezidiert hingewiesen. Fluchterfahrung, stationäres Setting, Chronifizierung, Selbstschädigung und Suizidalität, Dissoziation werden ebenso beschrieben, wie die Notwendigkeit der Fürsorge für die im professionellen Bereich Arbeitenden durch sich selbst, aber auch durch die sozialen Institutionen.
In der Schlussbemerkung weist der Autor u.a. auf die Notwendigkeit hin, dass die gesamte Gesellschaft ihren Beitrag bei der Betreuung traumatisierter Menschen leisten sollte und, dass wir, die „Profis“, viel von unseren traumatisierten Patientinnen und Patienten lernen können.
Diskussion
Jens Gräbener hat sich die schwierige Aufgabe gestellt auf ca. 150 Seiten im Taschenbuchformat das Grundwissen betreffend traumatisierte Patientinnen und Patienten in der Psychiatrie verständlich und trotzdem wissenschaftlich fundiert darzustellen und dann noch das Wesentliche für den praktischen Umgang mit ihnen auch anhand von treffenden, eingängigen Beispielen herauszuarbeiten – und das ist ihm trefflich gelungen. Z. B. stellt er den Bezug zur wesentlichen Fachliteratur im gegebenen Rahmen her und zeigt in den gegebenen Beispielen und Zusammenfassungen für das praktische Handeln, dass er sehr viel (theoretisch fundierte!) Berufserfahrung hat und die Fallstricke, Schwierigkeiten aber auch das Sinnerfüllende im Umgang mit dieser Thematik sehr wohl kennt und gut verständlich an die Leserinnen und Leser weitergeben kann. Das Wenige, das kritisiert werden könnte [1] – das Buch ist auch sehr gut redaktionell bearbeitet- fällt da nicht ins Gewicht.
Fazit
Das vorliegende Buch ist allen in der Psychiatrie aber auch in anderen Institutionen Tätigen sehr zu empfehlen, die sich einen fundierten Überblick über das Grundwissen „Psychotraumatologie“ verschaffen wollen und gleichzeitig ein erstes grundlegendes Handwerkzeug für die praktische Tätigkeit erwerben wollen.
[1] S. 86 nach Fischer & Riedesser 2020?.Wenn der Begriff Traumatherapie zu recht! problematisiert wird (S. 99), hätte dies auch mit dem Begriff „Traumakonfrontation“ – es handelt sich ja um eine Konfrontation mit Traumaerinnerungen!-geschehen sollen. Gibt es „Risikofaktoren der Traumabewältigung?“ (S. 80) – eigentlich sind das Risikofaktoren für die Entwicklung eines Traumas. Der Klappentext zur Reihe Praxiswissen, in dem nur von „Hilfen zur Krisenbewältigung“ gesprochen wird, bildet nicht den kompletten Inhalt dieses Buches ab, in dem es ja auch u.a. um chronifiziertes Leiden geht.
Prof. Dr. med. Gertraud Müller in socialnet
Letzte Aktualisierung: 26.04.2024