Um es vorwegzunehmen: Die Rezensentin ist seit vielen Jahren Fan dieses Buches. Deshalb kann sie ihm auch gar nicht neutral distanziert gegenüberstehen. Das Erscheinen der zweiten Auflage war nun ein willkommener Anlass, noch einmal genau hinzuschauen, was dieses Buch eigentlich so besonders macht.
Schon die Entstehungsgeschichte ist ungewöhnlich. Zunächst wurden Studierende nach ihrer Meinung zu verschiedenen Lehrbüchern befragt. Aus ihrer Kritik entstand die konzeptionelle Grundlage für dieses Buch, an dem neben den beiden Herausgeberinnen noch 19 andere Autoren und Autorinnen mitgeschrieben haben. Dieses interdisziplinäre Team von Lehrenden, Studierenden und Fachkräften aus der Praxis hat Textentwürfe immer wieder von Studierenden und Berufstätigen beurteilen lassen, um nicht an den Interessen vorbeizuschreiben. Auf diese Weise hat es zwar drei Jahre gedauert, bis das Buch fertig war, aber der Aufwand hat sich gelohnt.
Eigens für dieses Buch wurde das Modell der Partizipationspyramide entwickelt, welches das breite Spektrum der Partizipation im sozialen Bereich abbildet: von der »Lightversion« der Beteiligung hin zur echten Partizipation, wo ein Recht auf Mitbestimmung der Adressaten in Verträgen, Konzepten oder Leitbildern einer Institution verankert ist. »Partizipation ist eingebettet in institutionelle Verfahren, die regeln, wer unter welchen Bedingungen (mit-)entscheiden kann bzw. wer in die Entscheidung einbezogen werden muss und wie mit Konflikten umgegangen wird.« (S. 18) Mithilfe der Pyramide kann eigenes und fremdes Handeln bezüglich Mitbestimmung gut reflektiert werden.
Nachdem eingangs geklärt wird, was Partizipation ist (und was keine Partizipation ist!), wird begründet, warum Partizipation für die soziale Arbeit so wichtig ist, denn auch in der modernen Sozialarbeit ist es immer noch weit verbreitet, dass die Selbstbestimmung aufgrund der Qualifikation der Fachkraft beschnitten werden darf, solange es dem Wohlergehen der Betroffenen dient. Demgegenüber haben im partizipativen Professionsverständnis die Lebensweltexpertise und das Fachwissen den gleichen Stellenwert. Bei konsequent partizipativer Gestaltung der Unterstützung steht die Selbstbestimmung von Anfang an im Zentrum, der zentrale Auftrag lautet »Empowerment«.
Die Voraussetzungen zur Erfüllung dieses Auftrages sind die Haltung und Kompetenz der Fachkräfte sowie die strukturellen Weichenstellungen hin zu Partizipation in Institutionen, um politische Grundlagen und die rechtlichen Ansprüche auf Partizipation, wie sie in der UN-Kinderrechts- und der UN-Behindertenrechtskonvention verankert sind, im Alltag zu realisieren. »Partizipation ist kein Selbstläufer. Wir müssen es wollen, ermöglichen und gestalten. Soziale Einrichtungen und Projekte müssen sich zur Partizipation bekennen und ihre Strukturen verändern. Sie muss politisch unterstützt und finanziell gesichert sein. Verbindliche Grundlagen müssen regeln, wann es ein Recht auf Mitbestimmung gibt. Nur so wird Partizipation selbstverständlich und zum Standard in sozialen Berufen.« (S. 52)
Wie gemeinsame Entscheidungsfindungen und partizipative Prozesse in unterschiedlichen Handlungsfeldern stattfinden können, wird anhand von sechs Beispielen aus der Praxis beschrieben. Zudem werden drei Arbeitsweisen (partizipative Gesprächsführung / Aktivierung sozialer Netzwerke / Partizipationscoaching) vorgestellt, die helfen können, die Arbeit partizipativ zu gestalten.
Auch Hindernisse und Herausforderungen werden erläutert. Partizipation zu gewährleisten ist nicht unbedingt einfach, z.B. in der Arbeit mit demenziell erkrankten oder chronisch suchterkrankten Menschen. Dennoch werden Möglichkeiten aufgezeigt, Wege der Selbstbestimmung zu finden. Im Schlusskapitel werden die komplexen Zusammenhänge der Partizipation noch einmal prägnant erläutert. Es ist gleichermaßen Argumentationshilfe wie schnelle Orientierung im Thema.
Beim erneuten Lesen wurde der Rezensentin nun klar, was dieses Lehrbuch so besonders macht: Neben der aufwendigen Erstellung ist es die gute Struktur, die die Lesenden an die Hand nimmt und sie durch die Komplexität des Themas führt. Viele Praxisbeispiele aus dem gesamten sozialarbeiterischen Spektrum zeigen, worauf es bei der Partizipation ankommt. Die Sprache ist so prägnant, dass sie Zusammenhänge glasklar herstellt. Und die gelungenen Illustrationen von Marion Kreutter lockern nicht nur den Text auf, sondern verdeutlichen und ergänzen das Beschriebene noch einmal aus einer anderen Perspektive. Das Resümee der Rezensentin: Es will sich einfach kein Haar in der Suppe finden lassen!
Das Buch bietet nicht nur für das Studium der Sozialen Arbeit eine gute Grundlage. Es ist auch für langjährig Praktizierende eine Schatzkiste neuer Impulse und Hilfestellungen bei der Umsetzung von Partizipation im Arbeitsalltag. »›Partizipation kompakt‹ will ihnen allen Mut machen, nicht nur für, sondern mit den Menschen zu arbeiten.« (S. 10)
Elke Hilgenböcker in Soziale Psychiatrie
Letzte Aktualisierung: 01.05.2024