Der renommierte Medienwissenschaftler und Journalist Eckart Klaus Roloff nannte Frank Fischer einen heimlichen Wegbereiter der Psychiatrieenquete. Das ist eine maßlose Untertreibung.
Sein Buch "Irrenhäuser – Kranke klagen an" löste unmittelbar nach dem Erscheinen einen nie da gewesenen Wirbel innerhalb und außerhalb der Psychiatrie aus. Endlich, muss man sagen! Das Buch hatte nicht nur ein überwältigendes Medienecho, es wurde, wie Heinz Schott und Rainer Tölle in ihrer Geschichte der Psychiatrie festhielten, zu einer der "Schubkräfte der deutschen Psychiatriereform". Von vielen Anstaltspsychiatern wurden seine berechtigten Vorwürfe brüsk zurückgewiesen, aber insbesondere bei der jüngeren Generation der in der Psychiatrie Tätigen fand er viel Zustimmung.
Die Erinnerung der Krankenschwester Ulla Schmalz, das Buch von Frank Fischer sei damals ihre "Mao-Bibel" gewesen, trifft die Gefühle und die Reaktionen von uns Psychiatrieanfängern jener Jahre ziemlich genau. "Irrenhäuser" legitimiert unsere Wut. Unsere Forderungen von damals muten heute grotesk banal an: Abschaffung der Anstaltskleidung, jedem Patienten seine eigene Zahnbürste, jedem Patienten seine eigene Unterwäsche, jedem Patienten seinen eigenen verschließbaren Nachtschrank. Wir formulierten sie damals auch unter Berufung auf Frank Fischers Beobachtungen und Beschreibungen.
Ich bin mir sicher, dass die vielen Tagungen zu den skandalösen Verhältnissen in der Psychiatrie des Jahres 1970, die die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform in den Mittelpunkt stellten, ohne Fischers Buch so nicht stattgefunden hätten. Besonders deutlich wurde das bei drei Schlüsselveranstaltungen dieses Jahres: der erstmaligen Anhörung des Bundestagsausschusses für Gesundheit zur Lage der Psychiatrie, der traditionellen Gütersloher Fortbildungsveranstaltung und der unmittelbar danach folgenden Tagung der Evangelischen Akademie in Loccum. Insbesondere die Loccumer Tagung über den »Psychisch Kranken und die Gesellschaft« verlief mitnichten so, wie die beiden Organisatoren Hans Lauter (Ochsenzoll) und Joachim-Ernst Meyer (Göttingen) sich das vorgestellt hatten.
Der Sturm brach los, als Frank Fischer auftrat und seinen Vortrag über "die psychisch Kranken und die Anstalt" hielt. Schon dass Lauter und Meyer ihn nach Loccum eingeladen hatten, fassten nicht wenige Teilnehmer als Affront auf. Im Anschluss an seinen Vortrag kam es zu tumultartigen Auseinandersetzungen. Erst Gerhard Mauz, Sohn eines bekannten Psychiaters und selbst Psychologe, gelang es, die Diskussion in geordnete Bahnen zu lenken. Er appellierte an die anwesenden Psychiater in verantwortlicher Stellung, doch einmal ihre Situation und die Situation in den Krankenhäusern, für die sie verantwortlich waren, ein wenig aus der Distanz zu betrachten.
Sie würden dann gewiss aus voller Überzeugung sagen können, sie hätten sich seit Jahren bemüht, sie hätten sich redlich abgerackert, aber was sie nicht tun müssten, sei, die Verhältnisse zu verteidigen, die sie in den vergangenen Jahren immer wieder versucht hätten, zum Besseren zu wenden. Es ginge nicht darum, ihnen die Schuld an diesen Verhältnissen zuzuweisen, sondern zu zeigen, wie ohnmächtig sie ohne die Unterstützung der Öffentlichkeit und der Politik seien. Diese Argumentationsweise wurde von den anwesenden Politikern, dem Bundestagsabgeordneten Walter Picard und dem niedersächsischen Sozialminister Partsch, aufgegriffen und unterstützt. Der Funke hatte gezündet.
Der Kongress nahm einen unerwarteten Verlauf. Initiiert durch einige der Tagungsteilnehmer, die zwei Tage zuvor am Bundestagshearing in Bonn teilgenommen hatten, begann eine allgemeine Diskussion über die Situation der psychiatrischen Krankenversorgung in Deutschland und über Möglichkeiten, sie zum Besseren zu wenden. Referenten stellten ihre Vorträge zurück. Arbeitsgruppen wurden spontan gegründet. Bis tief in die Nacht und am darauffolgenden Tag wurde heiß diskutiert.
Am Ende stand eine Resolution an den Deutschen Bundestag, die später als "Loccumer Resolution" in die neuere Psychiatriegeschichte einging. Mit der Loccumer Resolution gelang es den 132 Teilnehmern der Akademie-Tagung, in den wichtigsten Fragen Kompromissformeln zu finden, die wegweisend für die spätere Arbeit an der Psychiatrieenquete und die Psychiatriereform in der Bundesrepublik sein sollten.
Frank Fischer war mit seinem Buch also nicht nur ein wichtiger Impulsgeber der Psychiatriereform. Sein Vortrag war auch Anstoß dafür, dass sich die anwesenden Vertreter des Reformflügels und des konservativen Flügels der deutschen Psychiatrie, die sonst nicht miteinander redeten, nach einem Diskussionsmarathon zu einem konstruktiven Kompromiss zusammenrauften. Dass sie miteinander redeten, war die Grundlage dafür, dass die Enquetekommission ein Jahr später eine konstruktive Arbeitsatmosphäre entwickeln konnte. Wie Fischer selbst sich dabei fühlte, hat damals keiner gefragt.
Es spricht viel dafür, dass der öffentliche Wirbel um sein Buch, vor allem aber die vielen feindseligen Reaktionen vonseiten der etablierten Psychiatrie, ihn traumatisiert haben. Auf jeden Fall gelang es uns damals nicht, ihn für die Mitarbeit im neu gegründeten Mannheimer Kreis oder der Deutschen Gesellschaft für soziale Psychiatrie zu gewinnen. Umso wichtiger ist es, dass sein immer noch lesenswertes Werk mit dem Neudruck eine späte Würdigung erfährt.
Asmus Finzen in Psychosoziale Umschau
Letzte Aktualisierung: 01.05.2024