Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie
Dachverband Gemeindepsychiatrie
Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen
Psychiatrie Verlag

Wichtiges Dokument der Aufarbeitung historischer Geschehnisse

Wenn es um die Geschichte der Psychiatrie im Nationalsozialismus geht, dann werden immer wieder die Tötungen an psychisch erkrankten Menschen zu dieser Zeit unter die Lupe genommen. Nicht anders ist es bei dem Ausstellungskatalog »Leben in Haus 5 – Die Geschichte des Bewahrungshauses in Düren: Transporte in die Vernichtung von 1940 bis 1944«, der einen Teil der Arbeit des psychiatriehistorischen Dokumentationszentrums im Haus 5 der heutigen LVR-Klinik Düren dokumentiert. Das Buch macht deutlich, wie wichtig die Erinnerungsarbeit ist und dass in der Gegenwart angesichts der Stigmatisierung und Exklusion von seelisch erkrankten Menschen von psychiatrischen Akteurinnen und Akteuren Verantwortung für diese Menschen übernommen werden muss. Die T4-Aktion und andere »Euthanasie«-Verbrechen sind Schlüsselworte, die sich häufig so fern anhören. Die regionale historische Aufarbeitung im rheinischen Düren verdeutlicht, dass dieses kriminelle Handeln auch vor der eigenen Haustür stattgefunden hat. Der Journalist und Historiker Stephan Stracke schaut differenziert auf die »Transporte in die Vernichtung«. Dabei liegt sein Fokus auf den forensischen Patientinnen und Patienten des Dürener Bewahrungshauses in der NS-Zeit.

»In der Zeit von 1935 bis 1944 wurden im Haus 5 vorwiegend Menschen untergebracht, die von der NS-Justiz nach §42 b und 42c in die Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen wurden. Die nach §42b Verurteilten, die ›verbrecherischen Geisteskranken‹ waren in der Regel keine Schwerkriminellen oder Gewalttäter:innen«, schreibt Stracke (S. 16). Menschen wurden zudem wegen politischer Vergehen kriminalisiert, so dass auch Kommunistinnen und Kommunisten, Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, »Zeugen Jehovas und im Krieg zunehmend Soldaten, die als ›Wehrkraftzersetzer‹ und Fahnenflüchtige verfolgt wurden« (S. 16), im Haus 5 zu finden waren. Solche Beschreibungen stimmen nachdenklich, schließlich wurde auf diese Weise die Psychiatrie einmal mehr in den Dienst der Gesellschaft genommen. Stracke nennt konkrete Zahlen bezüglich der Belegung in Haus 5. Wer heute durch die Räumlichkeiten des Hauses 5 in der LVR-Klinik Düren geht und sich vorstellt, dass zeitweise bis zu 150 Menschen dort untergebracht waren, den schüttelt es sicher ob der Bedingungen, unter denen Menschen dort gelebt haben müssen.

Nüchterne historische Betrachtung bewegt dann, wenn konkrete Gesichter und nachvollziehbare Lebensgeschichten von Menschen in den Blick kommen. Auch dies ist ein Schritt, den der Ausstellungskatalog wagt. Den Geschichten und Blicken der damals untergebrachten Menschen können sich die Leserinnen und Leser nicht entziehen. Nachdenklich stimmt, dass nach 1945 die Strafverfolgung für Menschen, die an Deportationen beteiligt waren, oft ausgeblieben ist.

Der Ausstellungskatalog »Leben in Haus 5 – Die Geschichte des Bewahrungshauses in Düren: Transporte in die Vernichtung von 1940 bis 1944« ist ein wichtiges Dokument der Aufarbeitung historischer Geschehnisse in einem konkreten sozialen Umfeld. Das Buch zeigt darüber hinaus, dass noch weitere Aufarbeitung zu leisten ist, damit Unrecht nicht wieder geschieht.

Christoph Müller in Soziale Psychiatrie, Rezensionen Plus

Letzte Aktualisierung: 02.08.2024