Wer hat sich vor der Lektüre dieses Buches vorstellen können, dass Reportagen aus den medizinischen und pharmazeutischen Museen in Deutschland mehr als 500 Seiten füllen können? Die Journalisten Karin Henke-Wendt und Eckart Roloff haben sich auf eine ungewöhnliche Spurensuche gemacht. Sie haben sich der Faszination der wissenschaftlichen Sammlungen gestellt. Während man sich durch die Museumsbeschreibungen arbeitet, erscheinen dem Leser die Gewebeproben, die Reagenzgläser und die gealterten Knochen vor Augen.
Es wundert nicht, dass sie den Fokus auf psychiatriehistorische Museen legen. Das Museum der LVR-Klinik im niederrheinischen Bedburg-Hau wird mit seinen Meilensteinen beschrieben und deutet an, wie wechselhaft die Geschichte gewesen sein mag. »Von der Offenen Tür zum Transport in den Tod – und dann Reformen« steht über dem eindrucksvollen Kapitel, das auch die Zeit des Nationalsozialismus beschreibt. Über die Ausstellungsobjekte im Museum »Verrückte Zeiten« in der LVR-Klinik Bonn heißt es eindrücklich: »An vielen Objekten, in die Räume gestellt, auch in Vitrinen und an Wänden platziert, ist zu erkennen, was es in der Frühzeit der Psychiatrie mit den Drehmaschinen und Tropfbändern auf sich hatte, die die Patienten ruhigstellen sollten, und später mit den Elektroschocktherapien.«
Es sind nicht nur die psychiatrischen Kliniken im Besonderen und die psychiatrische Versorgung im Allgemeinen, die sich über Jahrzehnte hin verändern, sondern auch die Präsentation verändert sich. Über das Pflegemuseum im Diakoniewerk Kaiserswerth in Düsseldorf schreiben Henke-Wendt und Roloff, dass es das einzige seiner Art in Deutschland sei. Dort sind nicht nur die Spuren der Pioniere Florence Nightingale und Theodor Fliedner zu sehen. Dort zeigen sich auch die verschiedenen Möglichkeiten der Geschichts- und Wissensvermittlung.
Die Autoren Henke-Wendt und Roloff haben sich entschieden, jeweils einen Band zu schaffen, der sich mit dem Norden und dem Süden der Republik beschäftigt. Offen bleibt, ob die Zahl der Psychiatrie-Museen beispielsweise auch die Intensität der Auseinandersetzung mit den historischen Niederlagen und Erfolgen der Fachdisziplin abbildet. Im Süden der Republik scheint es zumindest ein ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein zu geben.
Christoph Müller in Psychosoziale Umschau
Letzte Aktualisierung: 29.07.2017